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Samy Deluxe im Interview : „,Die Nazis‘, das gibt es nicht“

„Selbst ein Nazi ist von den Umständen geformt, unter denen er aufwächst“, findet Rapper Samy Deluxe. Bild: dpa

Schon 2001 hat Samy Deluxe mit den „Brothers Keepers“ zum Kampf gegen Rechts aufgerufen. Jetzt hat er das Lied neu aufgenommen. Ein Interview über Rechtsradikale in Chemnitz, Auftritte im Osten und das schlechte Image von Rap.

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          Viele Menschen in Deutschland waren erschrocken, als sie gesehen haben, wie in Chemnitz ausländisch aussehende Menschen auf der Straße angegriffen worden sind. Sie auch?

          Sebastian Eder
          Redakteur im Ressort „Gesellschaft & Stil“.

          Nein, mich überrascht das leider nicht. Wenn ich früher im Osten Auftritte hatte, bin ich am Rasthof nicht aus dem Auto ausgestiegen. Es gibt viele Orte in Deutschland, an denen es diese wunderbare Multikulti-Welt nicht gibt, die wir uns in den Großstädten einbilden. Wenn dann alle paar Jahre mal so was passiert wie in Chemnitz, fallen die Leute aus allen Wolken: „Was, hier gibt es Rassismus?“ Aber wenn man optisch nicht eindeutig als Weißer zu identifizieren ist, erlebt man in Deutschland keinen Tag ohne Rassismus.

          Sie haben im Jahr 2001 mit vielen schwarzen Künstlern unter dem Namen Brothers Keepers das Lied „Adriano (Letzte Warnung)“ als Reaktion darauf aufgenommen, dass im Dessauer Stadtpark drei Nazis einen Schwarzen totgeprügelt hatten.

          Wir haben danach eine Tour durch Ostdeutschland gemacht und Schulen besucht, in denen es fast keine Ausländer gab. Den Kids wollten wir zeigen, dass sie nicht alleine sind. Wir haben unfassbare Sachen gehört, die man sich gar nicht vorstellen konnte, wenn man aus dem Westen kam. Ein türkischer Familienvater hatte einen Dönerladen in Pirna in der sächsischen Schweiz. Tagsüber hat er den Nazis das leckere Essen verkauft, und abends standen sie besoffen und grölend vor seinem Laden. Wenn er die Polizei rief, haben die aufgelegt, nach dem Motto: Das ist ja eh nur der Scheißtürke! Andere sind von Nazis verprügelt und danach im Krankenwagen von Sanitätern noch weiter beleidigt worden. Rassismus gibt es überall, auch in Großstädten. Aber in den kleinen Orten fehlt die Zivilcourage und die politische Korrektheit, da haben die Leute keine Angst, ihr wahres Ich zu zeigen.

          Sie sind 1977 in Hamburg geboren worden und in der Familie Ihrer weißen Mutter aufgewachsen. Ihr Vater aus Sudan hatte Deutschland verlassen. Wie haben Sie als Kind Rassismus erlebt?

          Es gab keine lebensbedrohlichen Situationen, es war eher dieses Sich-ausgeschlossen-Fühlen, Komisch-angeguckt-Werden, Komische-Sachen-Hören. Ich war der einzige dunkle Mensch im ganzen Viertel. Seitdem fühle ich mich oft so, als wäre ich fehl am Platz. Ich wache morgens nicht mit dem Gefühl auf: Ich bin gegen Nazis. Sondern: Ich bin dafür, dass wir friedlich zusammenleben. In Chemnitz wird das so präsentiert, als wäre da eine Armee des Bösen eingefallen. Ich will denen gar nicht diese Macht geben, dass sie solch mystische Wesen sind. Außerdem ist selbst ein Nazi von den Umständen geformt, in denen er aufwächst. Das vergessen die Gutmenschen gerne. Nicht jeder hat das Privileg, so aufzuwachsen, dass er lernt zu differenzieren.

          Das ist jetzt aber sehr milde. Wenn jemand durch die Straße läuft, den Hitlergruß zeigt und Leute angreift, kann man doch sagen: Das ist ein schlechter Mensch.

          Genau, aber trotzdem ohne zu pauschalisieren. Die Flüchtlinge, die Nazis, die Polizisten, das gibt es für mich alles nicht. Ich habe auch als Graffiti-Fan schon immer den Schriftzug „All cops are bastards“ abgelehnt. Ich finde das völlig bekloppt. Mir machen die Rechten keine Angst. In diesem Sommer habe ich das Lied „Aber“ von Eko Fresh produziert, in dem er einmal aus der Sicht eines AfD-Anhängers und einmal aus der Sicht eines Migranten in Deutschland rappt. Da hat sich die AfD den ersten Teil rausgeschnitten und verbreitet. An solchen Aktionen sehe ich, dass sie für nichts stehen, vor allem für nichts Positives. Dieses Kartenhaus, das sie sich aufgebaut haben, wird zusammenbrechen. Man muss nur abwarten.

          Das klingt in dem Lied „Adriano“, das Sie für Ihr gerade erschienenes „MTV Unplugged“-Album noch mal neu aufgenommen haben, aber anders. Darin heißt es an die Rechten: „Was wir reichen, sind geballte Fäuste und keine Hände.“

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