Projekt „Vanishing Berlin“ : „An diese Orte werden wir uns bald mit Wehmut erinnern“
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Der „Pudel-Salon“ steht seit fast zehn Jahren leer. Jetzt zieht Alexander Steffen mit seiner Ausstellung in die Räume ein. Bild: Alexander Steffen
Alexander Steffen fotografiert alte Ladenfronten, Brachen und Brandschutzmauern. Damit dokumentiert er ein Berlin, das im Verschwinden begriffen ist. Ein Gespräch über den Wandel in der Hauptstadt.
Herr Steffen, Ihre Ausstellung „Vanishing Berlin“ zeigen Sie in einem verlassenen Ladengeschäft. An dem heruntergekommenen Eckhaus prangen die Aufschriften „Pudelsalon“ und „Pflege aller Rassen“. Was hat es damit auf sich?
Berlin verändert sich rasant. Ich fotografiere seit einigen Jahren Orte, an die wir uns bald mit Wehmut erinnern werden. Der Pudelsalon, der von 1968 bis 2008 in Betrieb war und seither leer steht, gehört dazu. Jetzt habe ich das Glück, den Laden temporär für meine Ausstellung nutzen zu können. Man kann eines der Bilder der Ausstellung also sozusagen betreten.
Neben alten Ladenfronten fotografieren Sie kaputte Fassaden, besprühte Brandmauern und überwucherte Brachen. Was ist daran so erhaltenswert?
Grundsätzlich bin ich niemand, der sagt: Alles muss so bleiben, wie es ist. Ich will auch nicht den Geist der fünfziger, sechziger, siebziger Jahre bewahren. Natürlich muss man Brachen bebauen, schließlich ist Wohnraum knapp. Es ist eher ein Wunder, dass es immer noch so viele Brachen in Berlin gibt. Ich denke aber, dass viele Brachen ohne Konzept veräußert wurden und man sich nicht gefragt hat: Wer baut da und für wen? Kommt das den Bewohnern der Stadt zugute? Vieles ist mutlos, etwa Baumärkte oder Discounter. Das ist schade.
Und Orte wie der Pudelsalon?
Dieser Laden hat ein schönes Schild mit einer besonderen Schrift. Das gilt für viele dieser alten Ladenschilder. Sie haben eine besondere Typografie, sind hochwertig hergestellt. Die sollten bewahrt und ausgestellt werden und nicht einfach entsorgt. Was die Läden selbst betrifft, so sterben viele von ihnen aus, weil der Bedarf einfach nicht mehr da ist. Denken Sie zum Beispiel an die Kohlehandlungen. Da darf und soll sich natürlich gerne etwas anderes entwickeln. Mir geht es auch gar nicht so sehr darum, Veränderung und Verlust anzuklagen. In erster Linie dokumentiere ich.
Sie sind im Berlin der siebziger Jahre aufgewachsen, dokumentieren also auch ein Stück weit den Ort Ihrer Kindheit. Kommt daher der nostalgische Blick?
Was die Brachen betrifft: Die sind tatsächlich meine Leidenschaft, weil ich mich da als Kind gerne herum getrieben habe. In den frühen Siebzigern war die ganze Innenstadt voller Brachen. Die zu betreten war immer ein bisschen aufregend und gruselig. Jenseits von der persönlichen Erinnerung geben diese riesigen innerstädtischen Freiflächen aber auch ein Gefühl von Freiheit, das Phantasie freisetzt, laden zu kreativer temporärer Nutzung ein. Dafür wird Berlin in der Welt geschätzt und das hat auch zum Tourismus-Boom geführt. Verschwinden diese Orte, werden weniger Leute kommen – oder zumindest andere. Die Künstler, Musiker, Fotografen werden weiterziehen. Sie werden einen anderen Ort finden, der sie durch seine Unfertigkeit inspiriert.
Wie vieles von dem, was Sie zwischen 2009 und 2016 fotografiert haben, ist schon verschwunden?
Zwischen 20 und 40 Prozent meiner Motive, würde ich sagen. Berlin ist ja bekannt dafür, dass es sich immer verändert. Mein Gefühl ist aber: Nach der Wende hat sich sehr viel getan, dann passierte eine Weile sehr wenig und in den letzten vier oder fünf Jahren bewegt sich wieder wahnsinnig viel. Wenn ich vor ein paar Jahren ein Motiv entdeckt habe, dachte ich: ,Da fahr ich irgendwann noch mal vorbei.‘ Jetzt mache ich das möglichst sofort, weil ich weiß, dass es binnen zwei Wochen eine Baustelle sein könnte.
Wo finden Sie die meisten Motive, also wo sieht Berlin noch am ehesten so aus wie in Ihrer Kindheit?
Vor allem in Westberlin. Da ist viele Jahre gar nichts passiert, weil sich nach der Wende alle auf den Osten konzentriert haben. Am ehesten fündig werde ich immer im Wedding, da habe ich auch längst noch nicht alles aus meinem Spektrum fotografiert. In Prenzlauer Berg hingegen ist die Sanierung zum Beispiel fertig, abgeschlossen. Es gibt keine Brachen mehr und keine Brandmauern. Alles, was an das alte Prenzlauer Berg erinnert hat, ist eigentlich verschwunden. Es ist trotzdem noch ein schöner Bezirk, auch wenn sich viele die Mieten dort nicht mehr leisten können und die Anwohner sehr homogen sind.
Haben Sie manchmal Probleme beim Fotografieren?
Ja. Sicherheitsleute und Baustellenleiter sagen mir öfter, dass das Fotografieren von Baustellen unerwünscht ist. An manchen Orten werden die Zäune auch extra so hoch gezogen, dass man nichts mehr sehen kann. Zum Beispiel bei der Cuvrybrache in Kreuzberg. Da frage ich mich schon, was das soll.
Und haben sich auch Dinge zum Positiven verändert?
Auf jeden Fall. Berlin ist viel internationaler und vielfältiger geworden. Das tut der Stadt gut. Es ist nicht mehr so grau und deprimierend wie in den Achtzigern. Früher war das Essen hier eine Katastrophe, heute gibt es tolle Restaurants. Und es gibt auch gute städtebauliche Projekte: Auf der Brache am Gleisdreieck etwa ist ein phantastischer Park entstanden. Da tummeln sich jeden Tag Hunderte Leute, vom bärtigen Hipster, der Craft Beer trinkt, bis zur 80-jährigen Oma aus Anatolien, die abends noch mal frische Luft schnappen will. Das gefällt mir gut.
Die Ausstellung
„Vanishing Berlin – revisited #2: PUDEL-SALON. Pflege aller Rassen“ ist vom 8. bis zum 22. September in der Helmstraße 10 in Berlin-Schöneberg zu sehen. Öffnungszeiten: Samstag und Sonntag von 14 bis 17 Uhr, Mittwoch und Donnerstag von 18 bis 21 Uhr und nach telefonischer Vereinbarung. Zum Projekt ist auch der Fotoband „Vanishing Berlin“ erschienen.