Interview mit Phil Collins : „Mein Leben hat mehr Balance“
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Sie selbst wohnten in einem dieser Vorstadthäuser und teilten sich ein Kämmerchen mit Ihrem Bruder.
Ja. Die Mutter meiner Mutter war Näherin gewesen und entstammte einer Familie von der falschen Seite der Eisenbahnschienen, wie man so sagt; meine Mutter arbeitete unter anderem als Revuetänzerin. Meinem Vater wurde von seiner Familie immer der Eindruck vermittelt, dass er unter seinem Stand geheiratet habe.
Er starb ja, als Sie 21 waren. Im Buch heißt es: „Es gab schlicht keine Nähe zwischen uns. Vielleicht habe ich die Erinnerungen gelöscht. Vielleicht hat es sie nie gegeben.“ Erst mit 26 fanden Sie heraus, dass er sein Pendlerdasein dazu genutzt hatte, ein zweites Leben mit einer Freundin aus dem Büro zu führen. Kannten Sie ihn eigentlich?
(Zögert.) Meine Mutter wusste vermutlich davon, aber zu jener Zeit blieb man den Dingen einfach treu, verstehen Sie? Es gab diese Momente, wo mein Bruder und meine Schwester mich auf lange Spaziergänge mitnahmen, weil die Spannung zwischen meinen Eltern – die mir glücklicherweise völlig entging – zu groß wurde. Als ich jetzt die ersten Kapitel geschrieben hatte, schickte ich sie an meinen Bruder. Er sagte: Du gehst mit Dad sehr hart ins Gericht. Und ich sagte: Wirklich? Er sagte: Ich dachte, wir seien alle sehr glücklich gewesen. Und ich: Vielleicht waren wir das. (Lächelt.) Aber Clive, der neun Jahre älter ist als ich, hatte meinen Vater auch länger. Und außerdem: Seit ich ungefähr zwölf war, saß ich ständig am Schlagzeug; ich kam runter aus meinem Zimmer, sagte „Hallo!“ und ging wieder hoch. Ich kannte meinen Vater schon; ich wünschte nur, ich hätte mehr, an was ich mich erinnern kann. Wenn Simon . . .
Ihr ältester Sohn, aus Ihrer ersten Ehe, heute 40.
Wenn er so ein Buch schriebe, würde er vielleicht dasselbe sagen, über mich. Und es würde mich verletzen, wenn ich denken müsste, dass er so empfindet. Wir haben nicht sehr lange zusammengelebt, und in den letzten Jahren war er ein wenig distanziert. Ich wäre sehr traurig, wenn ich denken müsste, wir haben keine Verbindung zustande bekommen. Aber vielleicht ist das auch ganz normal: dass mein Vater noch ein ganz anderes Leben hatte. Und wenn ich im Buch grausam zu ihm bin, ein bisschen grausam, dann deshalb, weil ich zornig bin, weil er so früh gegangen ist.
Beeinflusst diese Erfahrung, wie Sie mit den eigenen Kindern umgehen?
Ja. Vor einiger Zeit saß ich mit der Familie beim Abendessen: Orianne, meine beiden Jungs Matthew und Nick.
Die heute mit Ihnen in Miami leben, 11 und 14.
Kaum war das Essen vorbei – whoosh, alle weg. Playstation, Hausaufgaben, was man eben so macht. Mein Dad hatte uns immer gesagt: Jetzt lacht ihr über mich, aber wenn ich mal nicht mehr da bin . . . – Und ich sagte jetzt zu Nick: Geh, geh, aber ich werde nicht ewig hier sein . . . – Er kam zurück und meinte: Jetzt kann ich schlecht gehen, du hast mir ein schlechtes Gewissen gemacht. Und ich: Geh, geh. - Aber ich möchte meinen Kindern etwas mitgeben. Natürlich gibt es die DVDs und die Platten, aber etwas (betont) von mir. Matthew, 11, ist der Fußballer; es gab mal eine Zeit, da dachte er, er sei kein Collins, weil er – anders als Simon und Nicholas – kein Schlagzeug spielt, obwohl ich ihm ein Set geschenkt hatte. Es kam noch hinzu, dass Nicholas ihm erzählte, er sei adoptiert worden. (Lacht.) Aber fast jeden Abend bringe ich ihn jetzt ins Bett, und wir haben eine halbe Stunde Matthew-und-Dad-Zeit. Damit er etwas hat, woran er sich erinnern und was er weitergeben kann: „Weißt du noch damals, als Dad . . .?“