Homosexualität in der Politik : „Alle Mainzer sind vom anderen Ufer“
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„Humor ist wichtig“: An heiterer Gelassenheit fehlt es den Stadtoberhäuptern Sven Gerich (links) und Michael Ebling schon mal nicht. Bild: Frank Röth
Die Oberbürgermeister von Mainz und Wiesbaden sind homosexuell. Im Interview sprechen Michael Ebling und Sven Gerich über derbe Witze, Küsse im Fernsehen und das Glück, kein Profifußballer zu sein.
Meine Herren, Sie sind beide homosexuell, und wir wollen über Homosexualität sprechen. Vermutlich wäre ich nie darauf gekommen, mit zwei heterosexuellen Oberbürgermeistern über Heterosexualität zu sprechen. Liegt da nicht schon das Problem?
Gerich: Bei mir ist es die zweite Anfrage nach einem Interview zu diesem Thema. Die erste habe ich abgelehnt. Da habe ich gesagt, ich möchte mich dazu nicht äußern, weil es für das, was ich mache, keine Rolle spielt. Als jetzt Ihre Anfrage an uns beide kam, haben wir erst mal herzhaft gelacht. Und dann gesagt: Homosexualität ist eben nach wie vor nicht gesellschaftliche Normalität, und deswegen muss man verstehen, wenn man danach gefragt wird. Und weiter darüber reden. Es wird ja nicht dadurch normaler, dass man dazu schweigt.
Die britische Organisation „Stonewall“, die gegen die Diskriminierung von Lesben und Schwulen kämpft, hat eine Kampagne für homosexuelle Jugendliche aufgelegt. Der Slogan: „It gets better.“ Sehen Sie das auch so?
Gerich: Durchaus. Heute hatte ich hier im Rathaus eine siebte Klasse aus einer integrierten Gesamtschule in Wiesbaden. Die sind mit dem Thema völlig entspannt umgegangen. Die haben mich gefragt, ob ich mit meinem Partner zusammenwohne und andere Dinge mehr. Kein Kichern, kein Gackern, obwohl die jungen Menschen alle in der Pubertät sind.
Ebling: Ich glaube auch, dass es besser geworden ist, wobei ich mich selten auf Schulhöfen aufhalte. Von Gesprächen mit Lehrern weiß ich allerdings, dass „schwul“ als Schimpfwort immer noch ein Thema ist. Alles, was schlecht ist oder blöd, ist irgendwie „schwul“. Das ist nicht schön, und ich will das auch nicht bagatellisieren. Aber es dürfte auch eine Mode sein, die wieder verschwindet. Selbst wir haben früher Schimpfwörter benutzt, die heute nicht politisch korrekt wären. Ich nenne jetzt bewusst keine Beispiele ...
Würden Sie von Lehrern erwarten, dass sie einschreiten, wenn sie das Wort „schwul“ als Schimpfwort hören? Oder ist das womöglich eine Form von Überaufgeregtheit, die das Ziel, dass Schwulsein als normal wahrgenommen wird, auch ein bisschen konterkariert?
Ebling: Ein Schimpfwort bleibt ein Schimpfwort, und eine Diskriminierung bleibt eine Diskriminierung. Die treibt mir jetzt nicht den Angstschweiß auf die Stirn, aber von einem Pädagogen würde ich schon erwarten, dass er in einem solchen Fall die Auseinandersetzung sucht. Das gilt aber für Beleidigungen jedweder Art und unabhängig davon, ob sie beim Adressaten als solche ankommen oder nicht. Allerdings sollte die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Einem Jugendlichen, der Hausaufgaben „schwul“ findet, würde ich zubilligen, dass er lernfähig ist. Da braucht es wahrscheinlich nur einen kleinen Anstoß.
Es gibt ein Interview mit Franz Beckenbauer, in dem er von seiner Zeit in New York und seiner Freundschaft mit dem ziemlich homosexuellen Balletttänzer Rudolf Nurejew erzählt. Als sie zusammen in einem Restaurant saßen, habe Rudolf versucht, sich mit seinem, also Beckenbauers Knie zu beschäftigen. Da habe er zu Nurejew gesagt ...
Ebling: ... lass die Hand bei Dir!
Genau. Und Beckenbauer weiter: „Ich gehöre einer anderen Fakultät an.“ Ist Beckenbauers Verhalten okay? Oder verbirgt sich dahinter schon eine leichte Diskriminierung, in der Wendung „einer anderen Fakultät angehören“?
Ebling (zu Gerich): Sagen das auch die Wiesbadener über die Mainzer?
Gerich: Wir sagen: vom anderen Ufer. Alle Mainzer sind vom anderen Ufer.