Obdachlosencamp geräumt : Berliner Empörungsritual
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In Berlin leben nach Schätzungen 10.000 Personen auf der Straße. Bild: dpa
Nachdem die Polizei in Berlin ein Camp von Obdachlosen geräumt hat, fühlt sich ein Linken-Politiker an das berüchtigte Gefangenenlager Guantanamo erinnert. Aussagen des grünen Bezirksbürgermeisters zeigen ein anderes Bild.
Die Bilder wirken verstörend. Polizisten stülpen einer gefesselten Frau, die auf einer Bank sitzt, ein weißes sackartiges Tuch über den Kopf und führen sie ab. Entstanden ist das Video bei der Räumung eines Camps von Obdachlosen in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs am 9. Januar. Nachdem die Berliner Tageszeitung „taz“ die eine Minute lange Aufnahme am Wochenende verbreitet hatte, schlugen die Wellen der Empörung hoch. Die Berliner Bundestagsabgeordnete Eva Högl (SPD) sagte: „Obdachlose Menschen unter Gewaltanwendung aus der Öffentlichkeit zu verdrängen, hilft niemandem.“ Der Linken-Politiker Niklas Schrader fühlte sich gar an das berüchtigte Gefangenenlager Guantanamo erinnert. Und Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) behauptete, das Camp sei geräumt worden, ohne den dort lebenden Menschen Hilfe anzubieten.
Aussagen der Polizei und des grünen Bürgermeisters des Bezirks Mitte, Stephan von Dassel, zeigen ein anderes Bild. Danach hatten sich viele Anwohner über die „katastrophalen Zustände“ rund um das Camp beschwert. Die Räumung sei zuvor zweimal mündlich angekündigt worden, auch Info-Flyer in mehreren Sprachen seien verteilt worden. Alle Bewohner hatten das Camp verlassen, nur die eine Frau nicht. Als die Polizisten sie abführen wollten, habe sie sich extrem aggressiv verhalten und die Beamten bespuckt, teilte die Polizei mit. Daher habe man ihr Handfesseln angelegt. Da ihr Kopfhaar zudem stark von Läusen befallen gewesen sei, hätten die Beamten ihr zum Eigenschutz das „Spucktuch“ übergelegt. Da sie sich in diesem Moment ruckartig nach vorn bewegt habe, sei der Eindruck entstanden, die Beamten würden das Tuch zusammenziehen. Beim Transport habe es aber lose auf ihrem Kopf gelegen.
Die Berliner Stadtreinigung, so Bürgermeister von Dassel, habe „acht Kubikmeter Unrat“ an der Stelle des Camps beseitigt. Auf eine angekündigte Richtlinie, wie Berlin einheitlich mit Obdachlosencamps und obdachlosen EU-Bürgern umgehen solle, warte er seit einem Jahr vergeblich, teilte der Grünen-Politiker am Montag mit.
In Berlin leben nach Schätzungen 10.000 Personen auf der Straße. Ein großes Problem ist die wachsende Zahl Obdachloser aus Osteuropa, etwa aus Polen, Rumänien und Russland. Am Sonntag war ein 55 Jahre alter obdachloser Russe tot auf einer Bank gefunden worden. Es ist noch unklar, ob er erfroren ist. Berlin stellt 1200 Schlafplätze in der Kältehilfe zur Verfügung, zwei U-Bahnhöfe sind als Notunterkünfte geöffnet. Auch ein Kältebus ist unterwegs.