NS-Verbrechen : Den charmanten Sadisten entlarven
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Monika Hertwig, Tochter des KZ-Kommandanten Amon Göth Bild: F.A.Z. - Foto Wolfgang Eilmes
Einen Mantel des Schweigens breitete man in der Familie Göth über die Vergangenheit des KZ-Kommandanten von Plaszow, Amon Göth. Bis der Film „Schindlers Liste“ erschien und dem Massenmörder ein Gesicht gab. Seine Tochter Monika Hertwig ist noch heute auf der Suche nach der Wahrheit.
LUDWIGSBURG. Die Karteikarte mit der Aktennummer 6 AR-Z 225/1959 ist vergilbt. Zusammen mit 700000 anderen Karten füllt sie die grauen Metallkästen in der Zentralen Stelle des Bundesarchivs in Ludwigsburg, eine ganze Wand lang. Alphabetisch sind sie hier geordnet: Täter, Opfer und Zeugen nationalsozialistischer Verbrechen. Auf Nummer 225/1959 steht: "Name: Amon Leopold Göth; Dienstgrad: SS-Hauptsturmführer; Funktion: Kommandant des Konzentrationslagers Krakau-Plaszow ab 1943." Zusatz: "G. wurde am 13. 9. 1946 in Krakau hingerichtet." Amon Göth, der "Schlächter von Plaszow", ist Sinnbild des sadistischen KZ-Kommandanten, seit ihm Ralph Fiennes in dem Film "Schindlers Liste" ein Gesicht verlieh.
Überlebende von Plaszow sagen, Monika Hertwig sehe ihrem Vater sehr ähnlich. "Manche erschrecken noch heute, wenn sie mich sehen." Die große Frau mit der mädchenhaft schlaksigen Figur hat ein harsches Gesicht. Die Falten stammen nicht vom Lachen. Der Blick ist prüfend und durchdringend. Vor ihr liegen drei daumendicke Kladden und ein in Frakturlettern beschrifteter Aktenordner, gesammelte Zeugenaussagen gegen ihren Vater. Seit vier Stunden liest sie sich durch die Vergangenheit.
Monika Hertwig wurde im November 1945 geboren. Ihren Vater hat sie nie gekannt. Er lebte für sie nur in den Erzählungen ihrer Mutter Irene Kalder. Oskar Schindler hatte seine attraktive Sekretärin mit dem aufstrebenden SS-Mann in Krakau bekannt gemacht; mitten im Krieg wurden die beiden ein Liebespaar. Zwei Jahre nach Göths Hinrichtung bat Irene Kalder die amerikanischen Behörden, seinen Nachnamen annehmen zu dürfen: Nur die Wirren am Ende des Krieges hätten eine Hochzeit verhindert. So ist auch Monika Hertwig zunächst eine geborene Kalder; erst 1947 nahm das minderjährige Kind automatisch mit der Mutter den Namen Göth an. Wörter wie "Konzentrationslager", "Juden", "Plaszow" kamen in den verklärten Erinnerungen ihrer Mutter nicht vor. "Grimms Märchen waren nichts dagegen", sagt Monika Hertwig und schlägt mit der Faust auf den Tisch. "Unglaublich."
Die Nachkriegskindheit Monika Hertwigs, die heute im bayerischen Weißenburg lebt, war typisch in ihrem Schweigen: Weder in der Familie noch in der Schule wurden nationalsozialistische Verbrechen zum Thema. Der Vater? Heldenhaft als Soldat gefallen, Punkt. "Zu Hause haben meinen Vater alle geliebt", sagt Monika Hertwig. Nie sei ein böses Wort über "den Mony" gefallen. Und "die Moni", so der Rufname der kleinen Monika, erfuhr nichts. "Der war für alle, selbst für seine erste Frau, die er für meine Mutter mitten im Krieg hat sitzenlassen, ein Heiliger." Vor allem ihre Mutter habe diesen Mann geliebt, abgöttisch.
Für Monika Hertwig blieb wenig übrig. Dem schwarzen Pudel und Rhett Butler schenkt Irene Göth mehr Aufmerksamkeit als ihrer eigenen Tochter. "Ich war für meine Mutter ein permanenter Störfaktor - nicht so sehr, was Männer, sondern vielmehr, was das Leben insgesamt betrifft." Das Kind behindert die fidele Lebefrau in ihrem Münchner Alltag zwischen Büro und Party. Aber so sei das eben gewesen, sagt Monika Hertwig heute. Das waren damals schwere Zeiten für ihre Mutter. Verdient es eine Frau, die sich auf dem Balkon der Lagervilla mit Freundinnen sonnte, während ein paar Meter weiter Unschuldige starben, so in Schutz genommen zu werden? "Meine Mutter hat nie jemandem ein Haar gekrümmt!" Das hätten ihr alle Überlebenden versichert. "Aber daß sie nie etwas gegen das Morden unternommen hat", sagt sie, und ihre sonst so kräftige Stimme wird leiser, "das werde ich nie verstehen."