Mütter im Unglück : Stillst du noch? Bereust du schon?
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Wenn das Leben vorher schöner war: „Regretting Motherhood“ Bild: Illustration Isabel Klett
Mutter sein ja, aber bitte nur bis zu einem gewissen Maße. Die Debatte um „Regretting Motherhood“ zeigt: Muttersein in Deutschland ist kein Privatvergnügen mehr.
Früher hatte Sarah Fischer ein aufregendes Leben. Sie reiste sieben Monate im Jahr durch die Welt, lebte mit Nomaden in der Mongolei, wanderte durch die Steppe, schlief in Jurten oder unter freiem Himmel. Zurück in Deutschland hielt sie Vorträge darüber, bevor sie wieder auf Tour ging. Sarah Fischer war frei, sie war glücklich, sie war selbstbestimmt. Bis vor drei Jahren.
Dann kam ihre Tochter auf die Welt – und nichts war mehr wie vorher. Sie schrieb ein Buch darüber, dessen Cover einen Scherenschnitt von einer Frau zeigt, die sich ihren Zeigefinger an die Schläfe hält. Sarah Fischer, eine Mutter, die sich die Kugel gibt.
Die Mutter, die eigentlich keine sein will
Mutter. Mama. Mum. Maman. La Mamma. Ein Wort, das nach Wärme klingt, nach Schutz, nach lebenslanger Bindung, nach bedingungsloser, manchmal auch klebriger Liebe. In Deutschland ist die Mutter noch mehr als das, sie ist ein Mythos – und das Lieblingsthema von Historikern, Feministinnen, Ökonomen und Buchautoren, die sich den Kopf darüber zerbrechen, wer sie genau ist, ob sie dem Kind guttut, ob sie sich selbst guttut, ob sie der Gesellschaft, der Arbeitswelt, der Rente etwas bringt.
Definitionen gibt es viele: die Glucke, die Rabenmutter, die Helikoptermutter, die dominante Mutter, die laxe, die aufopfernde, die emphatische, die desinteressierte. Über Mütter kann jeder reden, selbst wenn er keine ist; reicht ja schon, dass er eine hat. So eignet sich die Mutter bestens zur Projektionsfläche gesellschaftspolitischer Debatten.
Die jüngste Mütter-Debatte hält sich schon seit fast einem Jahr. Im schnellen Meinungs-Eldorado Twitter trägt sie den schicken Hashtag #regrettingmotherhood. Es geht dabei um eine Mutter, die bisher keiner auf der Rechnung hatte: Die Mutter, die eigentlich keine sein will – und keine wäre, wenn sie noch mal zurück auf Los gehen könnte.
Kann ich das wieder rückgängig machen?
Orna Donath ist Ende dreißig und keine Mutter. Und sie will auch keine sein. Die israelische Soziologin hat sich gegen Kinder entschieden, weil sie ihr freies Leben liebt und so etwas wie einen Kinderwunsch nicht verspürt. Damit ist sie in Israel, wo Frauen durchschnittlich drei Kinder zur Welt bringen, eine Ausnahme. Immer wieder prophezeiten ihr Menschen deshalb, dass sie ihre Entscheidung eines Tages noch bereuen würde. Donath drehte daraufhin den Spieß um und suchte nach Müttern, die bereuen, Kinder bekommen zu haben. Sie fand sie: 23 Frauen aus unterschiedlichen Schichten, mit denen sie intensive Gespräche führte.
In Israel wurde die Studie kaum wahrgenommen, aber als sie in Deutschland publik wurde, löste sie hierzulande einen Meinungs-Tsunami aus. Zeitungen, Nachrichtensendungen, Talkshows, Mütter-Blogs griffen das Thema in Windeseile auf. Vier Bücher sind bei uns seit Dezember zu dem Thema erschienen, Wörter wie „Reue“, „Lüge“, „falsche Wahl“ finden sich in den Titeln und sicherheitshalber noch das Debatten-Logo #regrettingmotherhood. Kurzzeitig hatte man den Eindruck, jede zweite Mutter, die auf dem Spielplatz im Regen an der Rutsche steht oder im Supermarkt ihr quengelndes Kind zur Kasse schleift, würde nur eines denken: Wie bin ich eigentlich auf die Idee gekommen, ein Kind haben zu wollen? Und: Kann ich das wieder rückgängig machen?