F.A.Z.-Leser helfen : Am Ende der Nahrungskette
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Arbeitsplatz: Lena lebt im Slum Korogocho, am Fuß der größten Müllhalde von Nairobi. Dort verdient sie auch ihr Geld. Bild: Frank Röth
Lena hat eine Krankheit, die man im Slum Korogocho nicht beim Namen nennen darf. Von den German Doctors bekommt sie medizinische Hilfe. Aber jeden Tag muss sie auf die Müllkippe steigen, um ihre drei Kinder durchzubringen.
Jeder Schritt knistert, als Lena das Meer aus Plastikflaschen durchquert. Sie weiß nie so genau, ob der Boden unter ihr nachgibt, weil sie Luft aus einer Flasche gedrückt hat oder weil darunter ein sumpfiges Loch aus Chemikalien schwelt. Doch Lena ist hart im Nehmen. Geht auch nicht anders. Sie ist Müllsammlerin auf der größten Müllkippe in Kenias Hauptstadt Nairobi. 200.000 Menschen leben im Slum Korogocho rund um die Müllhalde; Lena ist eine von Tausenden, die ihren Lebensunterhalt dort verdienen. Sie wohnt mit ihren drei Kindern in einer Hütte aus Lehm, Stöcken und etwas Wellblech. Morgens um sechs beginnt ihr Arbeitstag.
Lena geht an der Seite ihrer Freundin Rosalyn vorbei an einer Baracke und legt ihre Uniform an: ein buntes Tuch, das sie um ihr kunstvoll geflochtenes Haar windet; ein knielanges Rüschenkleid, darunter schauen ihre dünnen Beine in Jeans heraus; eine Bomberjacke, eine Nummer zu groß. „Damit ich nicht dreckig werde.“ Lena hat die fleckige Kleidung aus einem kleinen Müllhügel gezogen.
Das gute Zeug reißen sich die Männer unter den Nagel
Die beiden Frauen stapfen durch die vorsortierten Flaschen, über federnde Berge aus Plastikschnipseln und einen Pfad, der mit leeren Tablettenblistern übersät ist. Vorbei an der Stelle, wo ein Lastwagen frische Lebensmittelabfälle aus den Hotels und vom Flughafen bringt. Frauen gehen dort nicht hin. Sie würden es nicht überleben. Das gute Zeug reißen sich die Männer unter den Nagel, und sie verteidigen ihr Revier. Früher, als Lenas Mann noch da war, hat er dort manchmal Abfall von einem Fast-Food-Restaurant geholt. Frittiertes Hühnchen. Es ist lange her, dass Lena ihren Kindern so was bieten konnte.
Ein paar Schritt bergauf, dann sind sie da. „Unser Arbeitsplatz“, sagt Lena. Es ist ein hüfthoher Hügel auf dem Müllberg. Den wird sie mit Rosalyn für die nächsten Stunden bearbeiten. Um sie herum stehen Dutzende andere, die das Gleiche tun.
Der Hügel besteht aus allem, was in Nairobi weggeschmissen wird. Zum Teil ist es schon so verrottet, dass es fast wie Humus wirkt, doch es stecken auch Scherben, Tüten, Pappen und Kleidung darin. Die Luft stinkt säuerlich, manchmal auch faulig. Immer liegen Rauchschwaden über den Bergen – Chemikalien im Müll entzünden sich selbst. Lena beugt sich, den Rücken gerade gestreckt, und zupft an den Resten von Plastiktüten. Rosalyn stochert im Müll.
Gemeinsam ziehen sie eine Glasplatte aus dem Haufen und legen sie beiseite, damit sie sich nicht verletzen. Rosalyn hat ein paar Minuten später trotzdem einen Schnitt am Finger. Lena verbindet ihn mit einem Stofffetzen, den sie aus dem Müll zieht. Sie sortieren Papier, Flaschen und dünne Plastikfolien aus, denn die sind bei ihren Käufern, den Müllhändlern, gefragt. Wenn sie zwischendurch etwas Essbares finden, dann wandert das in den Mund.
Das Frühstück beginnt an diesem Morgen mit einem dünnen Teigfladen, den Lena aus der Mitte einer Packung mit angeschimmelten Chapatis herauszieht. Danach findet Rosalyn eine Orange, die sie schält und in der Hälfte durchbricht. Die Frauen teilen alles miteinander.