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Anna Schudt im Porträt : „Ich wollte die Beste werden“

Als junges Mädchen wollte Anna Schudt Hollywoodstar werden. Bild: Lucas Wahl

Schauspielerin Anna Schudt hat ihren eigenen Weg genommen: Jetzt, mit 45, ist sie beruflich gefragt und mehrfach ausgezeichnet – und hat „die lauteste Familie, die ich jemals erlebt habe“. Ein Treffen.

          7 Min.

          In der Mitte des Lebens anzukommen kann Spaß machen. Das merkt man schnell an diesem Vormittag. Anna Schudt sitzt im Konferenzraum eines Hotels und schaut auf die vorbeiziehenden Wolken über der Hamburger Außenalster. Das Interview hat vor fünf Minuten angefangen, sie analysiert gerade die Figur, die sie in ihrem neuen Film spielt, als plötzlich das Licht ausgeht. Wir sitzen im Halbdunkel. „Tja, das war’s dann, war schön mit Ihnen. Auf Wiedersehen“, sagt Schudt trocken und bricht dann in schallendes Gelächter aus. Eine der Erkenntnisse aus dem Gespräch mit Anna Schudt: Sie ist lustig. Unerwartet lustig.

          Anke Schipp
          Redakteurin im Ressort „Leben“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

          In ihren Filmen ist das anders. Da gibt sie der Mitte des Lebens meist ein trauriges Gesicht. So traurig, so berichtet sie, dass ihr Vater regelmäßig fragt: „Warum spielst du denn immer diese Rollen? Du bist doch gar nicht unglücklich? Oder doch? Wo kommt denn das her?“ Schudt gibt die einsame Tatort-Kommissarin, die sich einen Callboy mietet, die verzweifelte Ehefrau, die kein viertes Kind möchte, die erfolgreiche Komödiantin, die aus heiterem Himmel einen Schlaganfall erleidet. Es sind Figuren, die sich am Leben reiben, die Verluste und Trennungen verkraften müssen.

          Schudt wird oft so besetzt. Das könnte daran liegen, dass sie einfach nur in die Kamera schauen kann, nichts sagt und sich in ihren großen grünen Augen trotzdem alle dunklen Gefühle des Moments widerspiegeln. Trotzdem spielt sie selten Frauen, die sich ihrem Schicksal ergeben. Alle ihre Figuren strahlen auf unterschiedliche Weise Stärke aus. „Was mich interessiert, sind extreme Charaktere“, sagt sie im Gespräch. „Die kann man auch in den ödesten Rollenprofilen erschaffen. Toll ist natürlich, wenn du schon ein extremes Charakterprofil durch ein Drehbuch bekommst.“

          Eine kontrollierte, äußerlich starke Frau

          In dem Fernsehfilm „Aufbruch in die Freiheit“ sei die Hauptfigur zum Beispiel überhaupt nicht extrem. Es geht um eine Mutter von drei Kindern, die in den siebziger Jahren ein viertes Kind nicht will und gemeinsam mit ihrer Schwester um das Recht auf Abtreibung kämpft. „Die ist eine ungeheuer einfache, konservative und normale Frau, die in ihrer ganz kleinen Geschichte eine schmerzhafte Heldenentwicklung durchmacht, die aber aus der Not geboren ist und erst dadurch groß wird, dass sie so klein ist.“

          Szene aus der Komödie „Eine harte Tour“: Die Clique beschließt, auf eine von ihrem gestorbenen Freund geplante Wanderung zu  gehen.
          Szene aus der Komödie „Eine harte Tour“: Die Clique beschließt, auf eine von ihrem gestorbenen Freund geplante Wanderung zu gehen. : Bild: dpa

          Auch der jüngste Fernsehfilm mit dem Titel „Eine harte Tour“, nächste Woche in der ARD, hat zwar unterhaltsame Momente, beschreibt aber ein ernstes Thema. Es geht um die Mitte des Lebens. Die Zeit, in der man sich neu justieren muss. Ein Freundeskreis gerät ins Wanken, als ein Paar sich trennt, der Mann mit seiner jungen Freundin zusammenzieht und schließlich an einem Herzinfarkt stirbt. An der Clique geht das nicht spurlos vorbei. Jeder Einzelne in dem exzellent besetzten Kammerspiel wird danach sein Leben und alles, was damit zusammenhängt, in Frage stellen. Es explodiert schließlich, als die Gruppe zu einer gemeinsamen Wanderung in den Bergen aufbricht und Freundin und Ex-Frau des Verstorbenen aufeinandertreffen.

          Anna Schudt spielt die Ulrike. Eine kontrollierte, äußerlich starke Frau, die noch nicht mal ihrer engen Freundin von ihrer Brustkrebserkrankung erzählt, aber dann doch auch ins Wanken gerät, was ihre Ehe und die Beziehung zu den Freunden betrifft. Schudt findet die Metapher vom Berg in der Mitte des Lebens spannend. „Man steht oben auf dem Plateau, und schon purzelt der Erste runter. Und man weiß nicht, ob man selbst der Nächste ist. Was macht man jetzt mit seinem Leben? Man hat auf dem Hinweg nach oben gesammelt und gesammelt, Freunde, Erfahrungen, Kinder gekriegt, was man so macht in der ersten Hälfte des Lebens. Und jetzt kommt die zweite Hälfte, die man nicht freudig willkommen heißt. Man merkt, dass man sterblich ist. Dann geht man auf jeden Fall den Berg runter, die Frage ist nur, wie.“

          „Ich versuche, den Alltag immer zu einem Fest zu machen“

          Auch Schudt, 45 Jahre alt, hat das Drehbuch zum Nachdenken gebracht. „Klar, vor allem in der Vorbereitung und während der Drehzeit, weil es auch alles Themen sind, die mich betreffen, meine Freundinnen, das ist unsere Altersgruppe. Auch die Beschäftigung mit dem Tod. Die Frage, was bleibt und wer bleibt und in welcher Form, ist wichtig für mich. Wo setze ich den Fokus, was will ich noch erreichen?“

          Wenn Anna Schudt aber von den Dreharbeiten erzählt, bei denen auch ihr Ehemann, der Schauspieler Moritz Führmann, dabei war, klingt es nicht so, als habe alle Last der Welt auf ihren Schultern gelegen. „Wir haben uns durch die Arbeit kennengelernt, auf der Bühne. Dadurch ist das ein großer Teil unseres Zusammenlebens.“ Deswegen sei es bereichernd und schön gewesen, mal wieder miteinander zu arbeiten. „Und wir sind so oft ausgegangen wie in den letzten zwei Jahren nicht, das war auch ziemlich cool“, sagt sie lachend.

          Anna Schudt lebt mit ihrem Mann und zwei gemeinsamen Söhnen (ein weiterer Sohn aus einer vergangenen Beziehung ist schon erwachsen) in Düsseldorf. Von Tristesse in der Mitte des Lebens kann keine Rede sein. „Ich versuche, den Alltag immer zu einem Fest zu machen. Mein Mann ist Gott sei Dank jemand, der alles andere als grau ist, was einen interessanterweise auch stören kann. Manchmal denke ich: ,Oh, wärste doch mal ein bisschen grauer.’ Aber das ist er Gott sei Dank nicht. Er hat eine wahnsinnige Energie.“

          Schauspielerin Anna Schudt bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreis 2019
          Schauspielerin Anna Schudt bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreis 2019 : Bild: dpa

          Das Dorf wurde ihr zu klein

          Und ihre Söhne? „Die haben sowieso schon viel Energie. Und wenn der Vater morgens klatschend in die Küche kommt, dann klatschen die auch, selbst wenn der Vater nicht da ist. ,So!’ (Sie klatscht in die Hände.) ,Wo ist mein Müsli?‘ Und ich denke dann: ,Jetzt ist der Vater doch in Berlin, da könnte es doch mal ruhiger sein.’“ Sie lacht und ergänzt: „Aber weil ich ihn liebe, liebe ich das natürlich auch. Ich glaube, wir sind die lauteste Familie, die ich jemals erlebt habe.“

          Beruflich und privat scheint Anna Schudt angekommen zu sein. Mit Mitte 40 ist sie so erfolgreich wie nie. 2018 erhielt sie in New York für ihre Darstellung der Gaby Köster in „Ein Schnupfen hätte auch gereicht“ den International Emmy Award als beste Hauptdarstellerin. 2019 wurde sie für „Aufbruch in die Freiheit“ mit dem Deutschen und dem Bayerischen Fernsehpreis und der Goldenen Kamera ausgezeichnet.

          Dabei gehörte sie nie zu den Schauspielerinnen, die vergeblich auf Angebote warteten. Sie war immer im Geschäft, und es lief von Anfang an gut. Aufgewachsen ist sie am Bodensee in der Gemeinde Egg, die zu Konstanz gehört. Sie fuhr mit der Fähre zur Schule. „Das fand ich damals schon toll, aber ich hatte keinen Vergleich. Wenn ich das heute sehe, denke ich: Wie kann man schöner aufwachsen? Direkt am See und immer dieses Plätschern im Ohr.“

          „,Ich werde Hollywoodstar’“

          Trotzdem wollte sie früh weg. Das Dorf wurde ihr zu klein. Mit 16 wollte sie Schauspielerin werden. „Das war auch nicht nur so ein leises Gefühl, sondern ich wusste ganz genau, dass ich das machen will. Erklären kann ich das nicht.“ Sie brach nach der elften Klasse die Schule ab und nahm sich vor, drei Aufnahmeprüfungen zu machen. „Und wenn keine davon klappt, bin ich nicht gut genug und mache nicht weiter. Ich wollte die Beste werden. Das war sehr hoch gegriffen, aber auch mutig, finde ich heute: Als 16-Jährige zu sagen: ,Ich werde Hollywoodstar.’“

          Erzählt hat sie das damals niemandem, „und es war natürlich vollkommen überheblich. Aber wenn man hoch greift, kann man sich ein Stückchen hoch ziehen. Wenn man nur in der Erde buddelt, bleibt man immer auf dem Boden.“ Und sie zog sich hoch, sehr hoch. Mit gerade mal 17 wurde sie an der renommierten Otto-Falckenberg-Schule in München angenommen. Im Anschluss bekam sie ein Engagement an den Münchner Kammerspielen unter der Intendanz von Dieter Dorn.

          Der erste Bruch in ihrem steilen Aufstieg kam, als sie ein paar Jahre später an die Berliner Schaubühne unter Thomas Ostermeier ging. Es funktionierte nicht, und Ostermeier sagte einen Satz zu ihr, der lange an ihr nagte: „Ich habe dich als starke Frau engagiert, und du bist kaum mehr sichtbar.“ Heute sagt sie, dass das der Wahrheit entsprochen habe. „Ich habe mich tatsächlich im Verschwinden geübt.“

          Eine der besten deutschen Schauspielerinnen

          Trotzdem sei es eine wichtige Erfahrung gewesen. „Es war die erste harte Brechung in meinem heimlichen Glauben daran, dass ich total super bin. Und deswegen bin ich auch nach Berlin. Denn instinktiv hätte ich mir sagen müssen: ,Mach das nicht, du passt da nicht hin.’“ Die Erfahrung sei wichtig für sie gewesen, denn sie habe lernen müssen, sich zu fragen, was sie wirklich interessiere. „Aber es hat sehr lange gedauert, bis ich mich von dieser Kränkung erholt habe. Heute weiß ich, dass man auch Kränkungen braucht, das ist die bittere Wahrheit.“

          Danach begann sie, auch fürs Fernsehen zu arbeiten. Es gab viele Angebote. Sie blieb wählerisch. „Klug ist meine Rollenauswahl nicht, es kann in der Rückschau klug aussehen, aber es ist immer rein instinktiv. Ich habe nie nach groß oder klein ausgesucht. Immer danach, ob da eine Glocke klingt, wenn ich das Drehbuch lese.“ Sie lehnte vieles ab, obwohl sie mit ihrem kleinen Sohn alleinerziehend war. Eine Rolle in der Serie „Der Kriminalist“ gab sie nach einer Staffel wieder auf, weil sie sich unterfordert fühlte. Die Rolle der „Tatort“-Kommissarin Martina Bönisch nahm sie wiederum an. „Weil die Figur einen Callboy hatte. Das war der Punkt, der mich reizte. Um diese Sache herum kann ich mir alles bauen. Ohne wäre es vielleicht öde gewesen.“ Gereizt habe sie auch die Zusammenarbeit mit Jörg Hartmann, der ebenfalls einen Kommissar spielt und den sie von der Schaubühne kannte. „Aber ,Tatort‘ an sich war für mich kein Argument, da bin ich nicht karriereplanerisch.“

          Ungeplant ist sie nun eine der besten deutschen Schauspielerinnen. In der Mitte des Lebens. „Ich empfinde es als ein Riesenglück, dass ich so lange gebraucht habe, um jetzt da zu sein, wo ich bin. Ich konnte 25 Jahre lang diesen Wanderweg in meinem Tempo gehen. Natürlich habe ich mich während dieser Zeit immer wieder gefragt, warum manche Kollegen neben mir aufsteigen wie eine Rakete und ich nur rumkrebse.“ Sie ist davon überzeugt, dass es genau das richtige Tempo für sie war. „Was kann mir Besseres passieren, als in diesem Alter, wo man das Gefühl hat, bald nicht mehr gefragt zu sein, genau in diesem Moment gesagt zu bekommen: ,Du bist die Geilste! Du kriegst den Preis! Und den kriegste auch noch!’“

          Was kann noch kommen?

          Was kann noch kommen? Viele Herausforderungen. Zweimal spielte sie unter der Regie von Jan Georg Schütte in Fernsehfilmen ohne Drehbuch. Der Film „Klassentreffen“ wurde an einem Abend in einer Kölner Kneipe gedreht. Jeder Darsteller erhielt ein Rollenprofil, hatte aber keinen Text. „Man muss sich vorher überlegen, was man für eine Geschichte hat“, erzählt Schudt. „Ich habe mir zum Beispiel ausgedacht, dass die Figur der Astrid unglaublich gut Witze erzählen kann. Dann habe ich zehn Witze auswendig gelernt. Aber als ich in einer Szene einen Witz erzählen wollte, fiel mir nichts mehr ein. Die waren einfach weg. Ich kann eben keine Witze erzählen. So was passiert dir im normalen Film nicht. Da steht der Witz im Drehbuch und ist gut.“

          Trotzdem zeigte sie mit der leicht prolligen Astrid ihre andere Seite, die komödiantische. Die sie ebenso brillant beherrscht wie das ernste Fach. Davon könnte es mehr geben, findet sie. Am Theater habe sie viele komödiantische Rollen gehabt. Im Film werde sie meist anders besetzt. Bei der Verleihung der Goldenen Kamera sagte sie in ihrer Dankesrede: „Das nächste Mal spiele ich wirklich was Lustiges, Papa, ich verspreche es!“ Und am Ende des Gesprächs im Hamburger Hotelzimmer ergänzt sie: „Deshalb hier der Aufruf: Ich spiele auch sehr gerne sehr komische Rollen.“ Und dann bricht es wieder aus ihr heraus. Ihr schallendes Lachen.

          „Eine harte Tour“ "ist noch bis 25. März in der ARD Mediathek abrufbar.

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