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Milieukrippe in Köln : Üch eß der Heiland jebore

Mit Impfpass: Die Figur des Nichtsesshaften in der Milieukrippe von St. Maria weiß, worauf es in der Pandemie ankommt. Bild: Stefan Finger

In der alten romanischen Schifferkirche St. Maria in Lyskirchen greift die Krippe gegenwärtige Figuren auf. Dabei geht es nicht um Rührseligkeit – sondern darum, das Jahr zu spiegeln, wie es war.

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          Unter den zahllosen Spielarten des kölschen Brauchtums ist der „Kreppchensjang“ (Krippengang) außerhalb der Stadtgrenzen nicht die bekannteste. Aber für den Kölner nach oder auch vor dem Karneval die schönste. Oft schon vom ersten Adventssonntag an stehen bis zum Fest Mariä Lichtmess am 2. Februar die Türen der Kirchen offen, damit sich Jung und Alt, Arm und Reich, Kölsche und „Imis“ aufs Neue von dem Geschehen der Weihnacht berühren lassen. Denn dass Gott Mensch geworden ist, soll kein einmaliges Geschehen sein, das sich vor mehr als 2000 Jahren an einem fernen Ort zugetragen hat. „So wahr das ist, dass Gott Mensch geworden ist, so wahr ist der Mensch Gott geworden“, lehrte einst der Dominikanermönch Meister Eckart. Seine theologische Ausbildung hatte der aus der Nähe von Erfurt stammende Mystiker im 13. Jahrhundert wohl im Studium Generale seines Ordens im Zentrum des „Hillije Kölle“ erhalten. Heute laden in einem Radius von wenigen Kilometern um den Kölner Dom dutzende Krippen dazu ein, sich den ersten Teil der Weihnachtsbotschaft vor Augen führen zu lassen: „Üch eß der Heiland jebore“ – Euch ist der Heiland geboren.

          Daniel Deckers
          in der politischen Redaktion verantwortlich für „Die Gegenwart“.

          Mit „Üch“ gemeint sind indes nicht alleine die Flaneure, die an den Advents- und Weihnachtstagen von Kirche zu Kirche schlendern. Manch eine Krippe will über die szenische Vergegenwärtigung der Vergangenheit die Lebenswelt der Betrachter durchdringen und den Blick weiten für die „Anderen“ – allen voran die Krippe in der alten romanischen Schifferkirche St. Maria in Lyskirchen.

          Angefangen hatte alles mit Pfarrer Gottfried Kirsch. Er hatte in den Achtzigerjahren die Idee, Maria, Josef und das neugeborene Kind in der Krippe nicht mit den Menschen und Tieren alleine zu lassen, die sich in den Weihnachtsgeschichten des Matthäus- und Lukasevangeliums um sie versammeln (Markus und Johannes, die beiden anderen Evangelisten, kommen ohne Geburt und Kindheit Jesu aus). Nach und nach tauchten vor der kunstvoll gestalteten Kulisse des Kölner Rheinauhafens mit den Speicherhäusern und dem Malakoffturm allerlei Gestalten auf, „Lück wie Ich un Du“. Denn vornehm ging es in engen Gassen rund um Maria Lyskirchen niemals zu. „Rhingroller“ verdingten sich im Hafen als Tagelöhner. Rund um die Nächelsgasse befand sich bis zum Bau der Severins­brücke 1956 Kölns größtes Rotlichtviertel. Ein Matrose musste also ebenso seinen Platz an der Krippe finden wie ein leichtes Mädchen. „Richtet nicht, dass ihr nicht gerichtet werdet“, heißt es im Evangelium.

          Kümmert sich um die Krippe: Psycho­loge Benjamin Marx
          Kümmert sich um die Krippe: Psycho­loge Benjamin Marx : Bild: Stefan Finger

          Nicht fehlen durften auch die Franziskanerinnen aus der nahen Holzgasse, die sich ohne Ansehen der Person der Kinder aus diesem „Veedel“ (Stadtviertel) annahmen, wie auch der Polizist in preußischer Uniform, der einst im Hafenviertel für Recht und Ordnung sorgte und auch im Kölner Hänneschen-Theater in der Figur des „Schnäuzerkowski“ unentbehrlich geworden ist. Und dann ist da noch das Tanzpaar der „Goldenen Lyskirche Hellije Knäächte und Mägde“, der ältesten Traditionstanzgruppe des Kölner Karnevals. Der Verein geht auf die Knechte und Mägde zurück, die einst auf den Feldern der Kappesboore (Kohlbauern) am Rheinufer schufteten und bei den Prozessionen die Heiligenfiguren aus den Kirchen und Klöstern durch die Stadt trugen. Bis vor einigen Jahren waren Mitglieder des Tanzkorps zugegen, wenn in St. Maria in Lyskirchen die Fronleichnamsprozession stattfand. Heute sind sie noch immer in der Domprozession zu sehen. Undenkbar, dass sie in ihren Biedermeiertrachten an der Krippe fehlen könnten.

          Mit rheinischer Rührseligkeit hat das nichts zu tun, weder zu Lebzeiten von Pfarrer Kirsch, der 1996 starb, noch in den Jahren seither, in denen sich Benjamin Marx, ein Kölscher mit saarländischem Migrationshintergrund, und der Caritas-Pfarrer Matthias Schnegg der Milieukrippe annehmen. Die Krippe spiegelt Jahr für Jahr, was sich in der Welt im Kleinen wie im Großen verändert, im Guten wie im Schlechten. Schon lange nicht mehr wegzudenken aus der Krippe ist der Junkie, den es jedes Jahr aus der Notschlafstelle an der Viktoriastraße in die Gassen des ehemaligen Hafenviertels zieht, wie auch der Nichtsesshafte. Wer es von ihnen nicht nur in der Kirche ein wenig warm haben will, der findet in der nahe­gelegenen Annostraße einen Platz.

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