Marc-Uwe Klings Erfolgsrezept : Wo bleibt nur die große Erzählung?
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Sorgenvoller Blick: Marc-Uwe Klings Vision für Deutschlands Zukunft ist düster. Oder auch etwas heller – je nachdem, welche Ausgabe seines Romans „Qualityland“ man kauft. Beide Visionen sind allerdings auch ziemlich lustig. Bild: Sven Hagolani
Über allen Gipfeln ist Känguru: Mit komischen, klugen Geschichten unterhält Marc-Uwe Kling Massen von Menschen – und betreibt sanfte Agitation. Und das nun auch als Romanautor.
Die SPD kann einem schon wirklich leid tun. Auch an jenem Donnerstagmorgen auf der Frankfurter Buchmesse. Am Stand des Parteiblatts „Vorwärts“ sitzt Yasmin Fahimi und diskutiert mit einem schwedischen Autor über sein Buch, das „Die Anatomie der Ungleichheit“ heißt. Wichtiges Thema, SPD-Herzensthema, aber höchstens zwei Dutzend Leute hören zu. Ist Ungleichheit den Menschen gleich? Und wer war noch mal Yasmin Fahimi? Besonders niederschmetternd: Im Gang direkt gegenüber warten bestimmt zehnmal so viele, überwiegend jüngere Menschen darauf, sich ein Buch, ein anderes Buch signieren zu lassen. Anschaulicher könnte man die Anatomie der Ungleichheit nicht illustrieren.
Am schlimmsten aber: Der Mann, auf den hier alle warten, ist berühmt geworden dank eines Geschöpfs, das einem gegnerischen politischen Lager angehört, einem Lager, das man eigentlich für noch unpopulärer hielt als die zeitgenössische Sozialdemokratie. Die Rede ist von einem kommunistischen Känguru.
Das muss man natürlich erklären. Das Perfide daran ist nur, dass Marc-Uwe Kling, der Erfinder dieses Kängurus, das selbst niemals getan hat: Eines Tages stand, in einer seiner Erzählungen, dieses Känguru einfach bei ihm vor der Haustür. Und weil Marc-Uwe Kling, jedenfalls der gleichnamige Protagonist seiner Geschichten, ein zu größeren Gefühlsausbrüchen nicht neigender Mensch ist, wundert er sich nur ein wenig über den neuen Nachbarn und protestiert auch kaum, als dieser kurz darauf zu ihm in seine Kreuzberger Wohnung zieht. Obschon aus Schwaben zugereist, präsentiert sich Kling damit als typischer Berliner, der traditionell jedem Beuteltierchen sein Pläsierchen lässt, sei es aus Toleranz oder aus Desinteresse. Der Einzige, der in Klings Büchern mit der Existenz des Kängurus so gar nicht klarkommt, ist interessanterweise ein Psychoanalytiker.
Nun ist des Kängurus Eigenart, ein Känguru zu sein, auch nicht sein prägnantester Charakterzug. Gut, es hat einen Beutel, aus dem es wie aus einem Füllhorn die wunderlichsten Dinge zaubert, und es boxt ganz gerne, des Öfteren auch seinen Mitbewohner. Viel entscheidender für die Dynamik zwischen den Figuren aber sind die kommunistische Gesinnung des Tieres, seine Lust an der Agitation und sein kritischer Umgang mit bestehenden Eigentumsverhältnissen, bezogen zum Beispiel auf Klings Hausrat und Kühlschrank; sein Kommentar „Mein, dein. Das sind doch bürgerliche Kategorien“ hat längst Eingang auch in den gemeinhin weniger revolutionären Volksmund gefunden.
Er braucht keine aggressive Selbstvermarktung
Mit Kling, der sich selbst als passiv-sanftmütigen Anarchisten zeichnet, liefert sich das Känguru in den zumeist sehr kurzen Episoden ein Sparring aus Dialogen, die mal tief- und mal blödsinnig sind, bisweilen geradezu dadaistisch und dabei stets kapitalismuskritisch. So begegnet Kling der Beschwerde des Kängurus, dass der neue Ikea-Teppich garantiert durch Kinderarbeit entstanden und überdies potthässlich sei, mit dem Argument, dass man da nun wirklich kein „Meisterwerk der Teppichwebkunst“ erwarten könne: „Die sind doch erst acht.“ Zwischendurch schauen beide Bud-Spencer-Filme, hören Nirvana, spielen eine antikapitalistische Monopoly-Variante oder das Kartenspiel „Mao Mao“, sehen sich auf der Straße dem „Angriff der Killersoziologen“ ausgesetzt oder der Attacke von Neonazis, wobei sie noch während des Weglaufens einander versichern, diese „reproduzieren nur den Zwang und die Gewalt, die ihnen angetan werden“. Unter anderem vom Känguru, das die Nazis am Ende zu Boden boxt, was es in den Büchern häufiger tut. Nein, im Tierreich lässt sich Klings Känguru nicht verorten; stattdessen bewohnt es im großen popkulturellen Universum, das schon sprechende Außerirdische, sprechende Stofftiger und sprechende Kühlschränke hervorgebracht hat, eine kuschelige, kleine linke Ecke.