https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/marc-uwe-kling-veroeffentlicht-neuen-roman-qualityland-15246194.html

Marc-Uwe Klings Erfolgsrezept : Wo bleibt nur die große Erzählung?

Sorgenvoller Blick: Marc-Uwe Klings Vision für Deutschlands Zukunft ist düster. Oder auch etwas heller – je nachdem, welche Ausgabe seines Romans „Qualityland“ man kauft. Beide Visionen sind allerdings auch ziemlich lustig. Bild: Sven Hagolani

Über allen Gipfeln ist Känguru: Mit komischen, klugen Geschichten unterhält Marc-Uwe Kling Massen von Menschen – und betreibt sanfte Agitation. Und das nun auch als Romanautor.

          7 Min.

          Die SPD kann einem schon wirklich leid tun. Auch an jenem Donnerstagmorgen auf der Frankfurter Buchmesse. Am Stand des Parteiblatts „Vorwärts“ sitzt Yasmin Fahimi und diskutiert mit einem schwedischen Autor über sein Buch, das „Die Anatomie der Ungleichheit“ heißt. Wichtiges Thema, SPD-Herzensthema, aber höchstens zwei Dutzend Leute hören zu. Ist Ungleichheit den Menschen gleich? Und wer war noch mal Yasmin Fahimi? Besonders niederschmetternd: Im Gang direkt gegenüber warten bestimmt zehnmal so viele, überwiegend jüngere Menschen darauf, sich ein Buch, ein anderes Buch signieren zu lassen. Anschaulicher könnte man die Anatomie der Ungleichheit nicht illustrieren.

          Jörg Thomann
          Redakteur im Ressort „Leben“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

          Am schlimmsten aber: Der Mann, auf den hier alle warten, ist berühmt geworden dank eines Geschöpfs, das einem gegnerischen politischen Lager angehört, einem Lager, das man eigentlich für noch unpopulärer hielt als die zeitgenössische Sozialdemokratie. Die Rede ist von einem kommunistischen Känguru.

          Das muss man natürlich erklären. Das Perfide daran ist nur, dass Marc-Uwe Kling, der Erfinder dieses Kängurus, das selbst niemals getan hat: Eines Tages stand, in einer seiner Erzählungen, dieses Känguru einfach bei ihm vor der Haustür. Und weil Marc-Uwe Kling, jedenfalls der gleichnamige Protagonist seiner Geschichten, ein zu größeren Gefühlsausbrüchen nicht neigender Mensch ist, wundert er sich nur ein wenig über den neuen Nachbarn und protestiert auch kaum, als dieser kurz darauf zu ihm in seine Kreuzberger Wohnung zieht. Obschon aus Schwaben zugereist, präsentiert sich Kling damit als typischer Berliner, der traditionell jedem Beuteltierchen sein Pläsierchen lässt, sei es aus Toleranz oder aus Desinteresse. Der Einzige, der in Klings Büchern mit der Existenz des Kängurus so gar nicht klarkommt, ist interessanterweise ein Psychoanalytiker.

          Nun ist des Kängurus Eigenart, ein Känguru zu sein, auch nicht sein prägnantester Charakterzug. Gut, es hat einen Beutel, aus dem es wie aus einem Füllhorn die wunderlichsten Dinge zaubert, und es boxt ganz gerne, des Öfteren auch seinen Mitbewohner. Viel entscheidender für die Dynamik zwischen den Figuren aber sind die kommunistische Gesinnung des Tieres, seine Lust an der Agitation und sein kritischer Umgang mit bestehenden Eigentumsverhältnissen, bezogen zum Beispiel auf Klings Hausrat und Kühlschrank; sein Kommentar „Mein, dein. Das sind doch bürgerliche Kategorien“ hat längst Eingang auch in den gemeinhin weniger revolutionären Volksmund gefunden.

          Er braucht keine aggressive Selbstvermarktung

          Mit Kling, der sich selbst als passiv-sanftmütigen Anarchisten zeichnet, liefert sich das Känguru in den zumeist sehr kurzen Episoden ein Sparring aus Dialogen, die mal tief- und mal blödsinnig sind, bisweilen geradezu dadaistisch und dabei stets kapitalismuskritisch. So begegnet Kling der Beschwerde des Kängurus, dass der neue Ikea-Teppich garantiert durch Kinderarbeit entstanden und überdies potthässlich sei, mit dem Argument, dass man da nun wirklich kein „Meisterwerk der Teppichwebkunst“ erwarten könne: „Die sind doch erst acht.“ Zwischendurch schauen beide Bud-Spencer-Filme, hören Nirvana, spielen eine antikapitalistische Monopoly-Variante oder das Kartenspiel „Mao Mao“, sehen sich auf der Straße dem „Angriff der Killersoziologen“ ausgesetzt oder der Attacke von Neonazis, wobei sie noch während des Weglaufens einander versichern, diese „reproduzieren nur den Zwang und die Gewalt, die ihnen angetan werden“. Unter anderem vom Känguru, das die Nazis am Ende zu Boden boxt, was es in den Büchern häufiger tut. Nein, im Tierreich lässt sich Klings Känguru nicht verorten; stattdessen bewohnt es im großen popkulturellen Universum, das schon sprechende Außerirdische, sprechende Stofftiger und sprechende Kühlschränke hervorgebracht hat, eine kuschelige, kleine linke Ecke.

          Weitere Themen

          Keine Zeit, sich auszuruhen

          Jawlensky-Auktion in München : Keine Zeit, sich auszuruhen

          Künstlerische Aufbruchstimmung herrschte 1910, als Alexej von Jawlensky ein „Mädchen mit Zopf“ malte. Nun steht es an der Spitze des Auktionsangebots bei Ketterer in München – vor einer Reihe weiterer Arbeiten bedeutender Expressionisten.

          Die Achkraft der Lyrik

          Was Dichtung vermag : Die Achkraft der Lyrik

          Eine Spur der Trauer zieht sich durch die Gegenwartsdichtung. Darin liegt aber auch ihre besondere Stärke: Die Rede zur Eröffnung der diesjährigen Frankfurter Lyriktage

          Topmeldungen

          Das Umweltbundesamt am Wörlitzer Platz in Dessau-Roßlau

          Kritik am Umweltbundesamt : Eine Behörde, die nerven will

          Das Umweltbundesamt soll die Politik beraten – Kritiker finden, es mache selbst Politik. Amtschef Dirk Messner sagt: Seine Behörde dürfe nicht schweigen.
          Lieber hier Arbeiten oder doch ab ins Büro?

          Neue Arbeitswelt : Heftiger Hickhack ums Homeoffice

          Ein Viertel der Beschäftigten arbeitet häufig von daheim. Doch zeigen Arbeitgeber jetzt öfter rote Linien auf – und scheuen sich nicht vor Konflikten mit den Betriebsräten.

          Newsletter

          Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
          Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.