Der letzte Kaiser Österreichs : Karl I. könnte bald heiliggesprochen werden
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Vor 100 Jahren ist der letzte österreichische Kaiser, Karl I., gestorben. Bis heute wird er vielfach verehrt – und womöglich sogar bald heiliggesprochen.
Wie sah der letzte Kaiser von Österreich-Ungarn aus? Nur wenige werden da einen schmalen jungen Mann mit dunklem Haar und Oberlippenbärtchen vor Augen haben. Zu sehr hat sich das Bild des Kaisers Franz Joseph mit seinem weißen Backenbart und buschigen Schnauz ikonisch festgesetzt. Aber als er im November 1916 starb, war das Reich noch nicht am Ende, auch wenn zeitgenössische Erinnerungen bezeugen, dass nicht wenige schon damals genau das fühlten. Der letzte Kaiser hieß Karl. Und der entfaltete in den zwei Jahren, die ihm auf dem Thron blieben, mehr eigene politische Aktivität, als sein Vorgänger es bei all der pflichtgetreuen Aktenarbeit, die Franz Joseph von früh bis spät verrichtete, in Jahrzehnten getan hatte.
Der unglückliche Erzherzog Rudolph, Sohn von Franz Joseph und „Sisi“, hatte sich 1889 das Leben genommen. Der zweite Thronfolger, Erzherzog Franz Ferdinand, wurde 1914 von serbischen Nationalisten getötet. So rückte unversehens der 1887 geborene Großneffe des Kaisers auf. Mit 29 wurde er Kaiser Karl I. von Österreich und König Karoly IV. von Ungarn.
Auf der Suche nach Frieden
Karl beendete die faktische Militärdiktatur, die seit Kriegsbeginn bestanden hatte. Der Reichsrat wurde wieder eröffnet, politische Gefangene wurden freigelassen, die Zensur wurde, nun ja, nicht aufgehoben, aber auf das Vorkriegsniveau gesetzt, als sie noch mit gestrenger Schlampigkeit ausgeübt worden war. Für Fabrikarbeiter wurde eine Beschwerdekommission eingerichtet, in der auch Vertreter der Arbeiter saßen. Und als Erstes entfernte der neue Kaiser Franz Conrad von Hötzendorf aus dem Generalstab, schon vor 1914 einer der schärfsten Kriegstreiber. Stattdessen streckte Karl Friedensfühler aus. In Berlin stieß er damit aber auf Granit. Österreich hing politisch, militärisch und ökonomisch schon viel zu sehr von Deutschland ab, um eigene Machtpolitik betreiben zu können. Als ein Brief von ihm an seinen Schwager Sixtus von Bourbon-Parma bekannt wurde, in dem es um einen Separatfrieden mit der Entente ging, musste er einen Canossagang zum deutschen Kaiser Wilhelm II. antreten und Bündnistreue geloben.
Die Sixtus-Affäre gilt als Ausweis von Karls politischer Naivität. Ebenso der übrige Aktionismus, der den Niedergang nicht aufzuhalten vermochte, sondern ihn womöglich noch beschleunigte. Denn Karl ließ zwar eine Debatte zu, in der eine Fülle von Ideen und Initiativen zur Reform des Vielvölkerstaats geboren, manche dann auch ansatzweise verfolgt wurden. Aber von einem klaren Plan und entschlossener Durchsetzung konnte keine Rede sein. Zumal die Ungarn nicht bereit waren, aus ihrer Reichshälfte ein Drittel oder Viertel machen zu lassen. Auch die Friedenspolitik scheiterte an Halbherzigkeit, von Angeboten eigener territorialer Zugeständnisse war schon gar nichts zu hören. Von linker historiographischer Seite wird zudem bestritten, dass die Liberalisierungen dem Volkswohl hätten dienen sollen, er habe nur versucht, die Herrschaft zu retten. Ob auf andere Weise ein gerechter Frieden, eine Demokratisierung des Reichs und eine Besänftigung der Nationalismen möglich gewesen wäre, kann niemand sagen. Gewiss ist nur, dass niemand anderes es wirklich versucht hat, Karl aber schon.
Im Salonwagen ins Exil
Das Ende seiner kurzen Herrschaft hatte dann leicht operettenhafte Züge. Sinnbildlich dafür ist, dass zu seinen Beratern später Oberst Anton Lehar zählte, Bruder des Komponisten. Das Reich zerfiel, Deutschösterreich („das, was übrig blieb“) steuerte auf die Republik zu. Karl unterschrieb, dass er die Staatsform akzeptieren werde, die das Volk sich geben wolle, und dass er auf jeden Anteil an den Regierungsgeschäften verzichte. Später versuchte er, das wieder zu hintertreiben. Schließlich stand auf keinem Zettel das Wort „Abdankung“. Daraufhin musste er ins Schweizer Exil. Aber – es ist Österreich – er durfte im Salonwagen ausreisen. An der letzten Station vor der Grenze widerrief er alle früheren Erklärungen. Man wird nicht fehlgehen, wenn man in seiner Ehefrau Zita, die einen eisernen Willen gehabt haben soll, die treibende Kraft vermutet. Vom Exil aus versuchte Karl noch zweimal in Ungarn eine Restauration. Aber auch dort wartete man nicht auf ihn; oder nur wenige, immerhin genügend für ein Scharmützel bei Budaörs, das 19 Soldaten das Leben kostete. Das waren die 100 Tage à la Österreich-Ungarn. Eigentlich nicht unsympathisch, wenn man bedenkt, wie viele Männer nach Napoleons Rückkehr noch gefallen sind.
Karl wurde in der Abtei Tihany am Plattensee festgesetzt, wo man heute das Fenster gezeigt bekommt, durch das er melancholisch aufs Wasser geblickt haben soll. Dann ging es auf Schiffen Seiner britischen Majestät (König Georg V. war besorgt, dass den Habsburger das Schicksal der Romanows ereilen könnte) die Donau hinab durchs Schwarze Meer und Mittelmeer auf die portugiesische Atlantikinsel Madeira. Dort starb Karl an einer Lungenentzündung, wahrscheinlich infolge der Spanischen Grippe, am 1. April 1922. Er hinterließ seine Frau Zita, die bis 1989 leben sollte, und acht Kinder in durchaus prekären Verhältnissen, was weltliche Güter betrifft.
Doch hat Karl ein Nachleben. Nicht nur das ewige, auf das er als Christ hoffen durfte, sondern auch ein irdisches: Schon lange wird daran gewerkelt, ihn zur Ehre der Altäre zu erheben. 2006 erfolgte eine katholische Seligsprechung durch Rom, und befürwortende Kreise sind zuversichtlich für eine baldige Heiligsprechung. Das mag wichtig sein für die Lebenden: Karls Grabstätte in Funchal auf Madeira ist schon ein Ort der Verehrung, von einer Überführung in die Wiener Kapuzinergruft ist längst keine Rede mehr. Für den Betreffenden ist es unerheblich – wie der bescheidene und fromme Karl Habsburg-Lothringen sicher als Erster gesagt hätte.