Künstler DJ Koze im Porträt : Der letzte echte DJ
- -Aktualisiert am
Er ist DJ, einer der besten DJs überhaupt. Er ist aber auch ein Künstler, der das Private schätzt – und doch hat DJ Koze Angst, in der Öffentlichkeit zu scheitern.
Er will aufhören damit. Wirklich. Stefan Kozalla hat womöglich Jahre damit verschwendet, es doch zu versuchen: Seine Mitmenschen zu missionieren. Missionieren, das heißt bei Kozalla, andere davon zu überzeugen, diese Platte unbedingt zu hören, dieses Buch, das er schon zweimal verschlungen hat, zu lesen, diesen Brotaufstrich, den er sich macht, selbst mal zuzubereiten. Er hat sich vorgenommen, das künftig zu lassen. Und trotzdem kann es mitunter vorkommen, dass man ein Treffen mit ihm verlässt und um all diese Empfehlungen reicher ist: Bücher (Thomas Melle: „Die Welt im Rücken“), Platten (Ten City: „That’s the Way Love Is“, Acieed Mix), Brotaufstrich (Eingelegte-Paprika-Granatapfel-Walnuss-Paste) und, wohl um für all das die nötige Muße zu finden, eine Meditationsapp („Headspace“). Er empfiehlt das alles mit der Dringlichkeit eines Genies, das es ohnehin besser weiß und vor allem besser weiß, was für den jeweiligen Gesprächspartner besser ist. Nämlich Bücher, Musik, Meditation – und ein fabelhafter Brotaufstrich.
Missionieren heißt vielleicht auch: Musik machen. Stefan Kozalla ist besser bekannt unter einem anderen Namen, DJ Koze – ausgesprochen eher wie das Erbrochene, nicht wie die englische Gemütlichkeit. Und DJ Koze ist, nun ja, ein Genie. Er ist nicht nur DJ, einer der besten DJs, glaubt man den Auszeichnungen von „Spex“ und „Intro“, deren Leser ihn viele Jahre in Folge zum DJ des Jahres kürten, er ist auch Künstler. Koze macht verschrobene, manchmal verwunschene, auf jeden Fall stets eigenwillige elektronische Musik, die so gut ist, dass man meinen könnte, er sei sowieso in allem der Beste. Und in ihr scheint Kozalla seinen pädagogischen Auftrag weiter zu verfolgen: so viele Referenzen auf Klassiker, bekannte und unbekannte, so viel Sichtbarmachen von Musikgeschichte. Glaubt man den Feuilletons dieser Welt, ist Koze darüber hinaus ein Phänomen, dessen Musik nur so trieft vor intellektueller Distanz zum eigenen Werk und dem vielbeschriebenen, metaphorischen Augenzwinkern.
Dabei hat Koze für Ironie gar keine Zeit. „Die Leute verstehen keine Leichtigkeit mehr“, sagt er. „Warum sollte ich irgendetwas machen, das ich nicht gut finde, nur um mich darüber lustig zu machen?“ Es ist doch schon schwer genug, Dinge zu machen, die er wirklich gut findet. Und gut sein, das muss Koze. Unbedingt. Jetzt steht er da, in einem hellen Studio, vor einem Plattenregal und sucht die Platte raus, zum Abfotografieren erst mal. Später, als das Aufnahmegerät aus und er viel entspannter ist, legt er sie doch noch auf. Er ist sportlich und sieht bestimmt nicht aus wie 46, auch wenn er alles dafür gibt, seine beachtlichen Stirnfalten noch zu vertiefen.
„Einer der letzten echten Orte“
Die Straße, die zu dem Studio führt, ist lang, liegt in St.Pauli und schlängelt sich vorbei an Mehrfamilienhäusern, Kindergärten, kleinen Cafés, Kiosken, vor denen ein paar Leute auf ehemals weißen Plastikstühlen sitzen, rauchen und in die Sonne blinzeln. Das Cornern hat es in den Norden geschafft. Es ist einer der ersten Frühlingstage in Hamburg, und die Nachbarn lassen sich nicht lumpen, heizen den Grill an, pumpen Musik in den Garten, legen diesen Geruch in die Luft – nach Kohle, nach Zigaretten, nach Gras und nach Menschen –, der vage an Sommer erinnert. Kozalla erzählt von einem Nachbarn, der sich bei ihm vorgestellt habe, ein älterer Mann, umgeben von einer „beeindruckenden Haschwolke“. Koze mochte ihn. „Das ist hier einer der letzten noch echten Orte“, sagt er über die Straße.
Echt?
Stefan Kozalla sitzt jetzt da, in einem lodengrünen Sessel, vor dem formvollendeten Regal mit den ausgewählten Platten, und erzählt von Dingen, die er nicht echt findet. Erzählt, dass er Selfies nicht mag und davon, dass er neulich ein Paar beobachtet habe. Das war für ihn so bezeichnend: Wie sie das Handy hoch über den Köpfen hielten und professionell reingrinsten. Dann ließ er das Handy sinken, und sie fing sofort an, an ihrer Zigarette zu ziehen – Kozalla liegt jetzt über seinem Sessel und macht vor, wie sie raucht, mit kleinen schnellen Bewegungen zieht er immer wieder an seiner imaginären Kippe. „Und er sofort so“, ruft er und imitiert, wie der Typ unmittelbar nur noch Augen für sein Smartphone hatte. „Hat sich noch geärgert über seine Freundin: ,Ey, so guckt die immer!‘“, erzählt er lachend. Man kann sich nur amüsieren, mitlachen. Koze quatscht weiter. „Wie das so innerhalb von Sekunden von denen abgefallen ist“, erklärt er. Die ganze Liebe. Das Strahlen, einfach weg. Sie an der Zigarette, er am Handy. Kozalla erzählt, als könne er es kaum glauben. Dass die Menschen wirklich so sind. Er hat einen Hang zum Komischen, zum Unterhaltenden. Hat er sich einmal warm geredet, verfällt er häufig in diese Entertainer-Manier.
Er selbst hält sich nicht für eine Rampensau. Dabei ist er mit Mitte 20 noch über die Viva-Bühne gehüpft, mit seiner Hip-Hop-Kombo Fishmob, hat gerappt, sich die Sonnenbrille hochgezogen, ist wie ein Run-DMC-Mitglied durch die Sendung „Overdrive“ spaziert. Das ist ihm heute so peinlich, dass er sogar Arte abgesagt hat, Arte! Er will nicht mehr gefilmt werden, das ist ihm ein paar Wochen später in der Regel unangenehm. Überhaupt will Koze so wenig wie möglich von sich in der Öffentlichkeit haben, nur sein Werk eben, seine Musik, darüber redet er viel und gerne. Aber wenn Menschen alles von sich preisgeben, „Was hat das für einen Mehrwert?“ Dass die Leute ihn besser kennenlernen? „Aber was hat das für einen Mehrwert für mich?“ Dass er näher an seinen Hörern ist? „Was soll ich da denn sagen? Ich war mal depressiv, hab mal getrunken, aber jetzt geht es mir klasse? Das will doch auch keiner hören, das interessiert doch keinen.“ Er findet das obszön, wenn Menschen ihr Innerstes so in die Öffentlichkeit tragen. „Vor allem geht es denen dann immer schon wieder gut. Aber was ist mit dem Leiden? Das ist es doch, was Intimität ausmacht. Dass man auch mal sagen kann, dass es einem schlechtgeht.“
Von seinem eigenen Leiden will er allerdings nichts erzählen. Tinnitus hat er, das wohl. Nicht verwunderlich nach über 20 Jahren im DJ-Geschäft. Doch statt darüber zu sprechen, wie er abends einschlafen oder eben nicht einschlafen kann, woran er denkt, was ihn quält, springt er lieber: zu Ulrich Tukur, dessen Tinnitus so schlimm war, dass er nur mit eingeschaltetem Ventilator einschlafen konnte.
Einerseits ist Kozalla so: Er mag das Geheimnisvolle, das Zurückgezogene, das Private. Er regt sich über das Selfies machende Pärchen auf, erwähnt mehrmals negativ Instagram. „Und dann direkt auf Instagram posten“, sagt er immer wieder – nie abfällig, eher erstaunt ob solch einer Haltung gegenüber vermeintlicher Intimität. Er spricht vom „echten” Leben und von „echten“ Menschen, gerade so, als gäbe es heutzutage sehr viel Unechtes.
Andererseits aber erzählt er auch minutenlang begeistert von seiner Meditationsapp. Die hilft ihm zu entspannen, Andy helfe ihm. Andy, das ist die Stimme dieser App, und Andy ist wohl ein ganz toller Typ: Früher Silicon Valley, doch dann wurde er bekehrt, begann ein besseres Leben, wurde Buddhist – und verwurstete diese Erfahrung zu einer lukrativen App. Darüber ist Kozalla völlig aus dem Häuschen, dass Andy so eine tolle Stimme hat, Andy ihn gerettet hat. Dass das ein Marketing-Gag sein könnte? „Nein, ich hab ganz lange recherchiert, um das herauszufinden!“ Neulich saß er dann in einem Taxi – er springt wieder sehr, es ist nicht ganz klar, wann und wo – mit irgendeinem Freund, sie fuhren betrunken zu einer Party, hatten, so viel ist sicher, eine südamerikanische Taxifahrerin. Und als diese von Andy hört, erklärt sie, ebenjener Andy habe ihr selbst schon viermal das Leben gerettet. Das freut Kozalla noch immer so, dass irgendwo, auf einem anderen Kontinent, eine andere Frau, die für ihr Geld Taxi fährt, diesen Andy ebenso liebt wie er, der sich jetzt von ihr umherfahren lässt und der Andy braucht, weil er viele Ängste hat, Flugangst zum Beispiel, und weil er einen Tinnitus hat und manchmal Angst, nicht gut genug zu sein oder ausreichend gute Musik zu machen oder Musik zu machen, die nicht so gut ist, dass er, der beste DJ Koze, sie noch für gut befinden könnte.
Koze lässt Musik wochenlang ruhen, bis er sie sich noch mal anhört und entscheidet, ob er damit weiterarbeiten kann. Oft erkennt er schon zwei Stunden später, dass etwas, das er zuvor kreiert hat, nichts taugt. Der Moment des Schaffens übermannt ihn jedes Mal, darum braucht er Abstand, um zu erkennen, ob das, was er gerade gemacht hat, wirklich gut ist. Seine Angst, nicht gut genug zu sein, ist, wie er findet, gesellschaftlich auferlegt – im Gegensatz zu seiner Flugangst. Die ist natürlich, denn Fliegen ist unnatürlich. Sagt Koze.
Das ist ein Paradoxon, in dem er gefangen scheint: Einerseits will er nichts mit ihr zu tun haben, der Welt da draußen, der Welt der Instagrammer und Fitnessfreaks, der Selbstoptimierer und Strebsamen. Und andererseits hat er selbst Angst, große Angst, nicht gut genug zu sein in seinem künstlerischen Schaffen. „Da ist noch Luft nach oben“, das Gefühl hat er. Sein Lebenswandel ist nicht der eines Thomas Mann, der jeden Morgen früh aufstand, sich an den Schreibtisch setzte und seinem Handwerk mit größter Disziplin nachging, Tag für Tag. Koze schläft in den Mittag hinein und muss sich dann erst einmal in einen Kaffeerausch versetzen, trinkt nach eigenen Angaben gefährlich viel Kaffee, so dass es „an Todesangst“ heranreiche.
Dann arbeitet er zwei Stunden, um zu merken, dass nicht viel klappt. Er macht eine Pause, beantwortet Mails, geht abends zum Sport. Und erst dann, umgeben von sicherer Nacht, kann er anfangen zu arbeiten, entwickelt Ideen, versetzt sich in einen Rausch, dieses Mal in den des Schaffens. Er wartet ab, lässt Ansätze brachliegen, denn „je älter ich werde, umso mehr merke ich: Vieles ist nicht gut.“ Sein Anspruch an sich selbst, an jemanden, der der Beste sein soll und vielleicht auch sein muss, ist hoch; sein Arbeitsethos vielleicht nicht von der Mannschen Disziplin geprägt, aber von der Manie eines wahnsinnigen Bastlers, der sich die Atmosphäre der Nacht zu eigen macht, um seinem megalomanischen Ziel näher zu kommen, nämlich: gut sein, besser werden und immer wieder besser werden. Manchmal arbeitet er bis fünf Uhr morgens.
So klingt auch sein neues Album „Knock Knock“, obwohl es laut Koze viel „songiger“ sein sollte, also die einzelnen Tracks eigenständigere, kürzere und leichter zu verdauende Songs sein sollten. Das ist ihm ohne Frage gelungen, die Musik ist eingängig, aber nie zu sehr, die Kollaborationen ausnehmend, die Melodien spielerisch. Sein Anspruch an sich selbst ist noch gestiegen, doch die Eingebungen kommen nicht mehr einfach so. Denn um sich inspiriert zu fühlen, braucht es für Kozalla Langeweile. „Und die zu bekommen ist verdammt schwer.“ Wie soll man die auch kriegen, die Langeweile, zwischen all den Büchern, die es noch zu lesen, all den Platten, die es noch zu hören, und all den Brotaufstrichen, die es noch, zwischen zwei Meditationsstunden gequetscht, herzustellen gilt? Davon handelt auch der Song, der DJ Kozes Album abschließt, der verträumt ist, verrückt ist und den die amerikanische Sängerin Sophia Kennedy so treffend betextet und besungen hat:
Die besten Gedanken entstehen doch dann, wenn sie verwachsen, eingebrannt in die Wand, und die Langeweile sich einnisten kann.
Am Ende schnappt DJ Koze auf, dass es noch ein anderes Interview in Hamburg geben wird, ist interessiert. „Mit wen?“, fragt er; er benutzt absichtlich die falsche Endung. Genau so was findet er lustig. Ist es irgendwie auch.
DJ Kozes Album „Knock Knock“ erscheint am 4. Mai bei Pampa Records.