Beihilfe zum Suizid : Ehefrau nach Insulin-Überdosis freigesprochen
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Der Bundesgerichtshof hat eine Frau freigesprochen, die ihrem Ehemann auf dessen Wunsch eine tödliche Überdosis Insulin gespritzt hatte. Bild: dpa
Der Bundesgerichtshof hat eine Frau freigesprochen, die ihrem Ehemann auf dessen Wunsch hin eine tödliche Überdosis Insulin gespritzt hatte. Zugleich äußerten sich die Richter grundsätzlich zur aktiven Sterbehilfe.
Der sechste Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in Leipzig hat eine Frau freigesprochen, die ihrem Ehemann auf dessen Wunsch hin eine tödliche Überdosis Insulin gespritzt hatte. Anders als die Vorinstanz – das Landgericht Stendal – sahen die Leipziger Richter den Straftatbestand der Tötung auf Verlangen nicht als erfüllt an.
Der im Jahr 2019 gestorbene Mann war seit 1993 arbeitsunfähig und litt unter einer Vielzahl an Krankheiten und starken Schmerzen. Eine Unterbringung in einem Heim, eine ambulante Pflege und ärztliche Behandlungen lehnte er ab, von halbjährlichen Besuchen seiner Hausärztin abgesehen. Seit 2016 pflegte ihn seine Ehefrau – eine langjährige Krankenschwester – zu Hause.
An seinem Todestag schrieb der Mann in ein Notizbuch, er wolle aufgrund seiner Schmerzen nicht weiterleben und habe seiner Frau verboten, einen Arzt einzuschalten. Außerdem notierte er, die vorrätigen Tabletten in seinem Haus reichten hoffentlich aus, um ihn zu töten. Anschließend schluckte er alle vorrätigen Tabletten und bat seine Ehefrau, ihm sechs schnell wirkende Insulinspritzen zu setzen. Sie führte diesen Wunsch aus – und war sich als erfahrene Krankenschwester bewusst, dass der Inhalt der Spritzen geeignet war, ihren Mann zu töten. Anschließend starb er an der Insulin-Überdosis.
Nur als Helferin fungiert
Das Landgericht Stendal hatte das Verhalten der Frau als verbotene aktive Sterbehilfe eingestuft. Die Leipziger Richter sahen das nun anders: Das Setzen der Insulinspritzen sei keine aktive Sterbehilfe, sondern straflose Beihilfe der Ehefrau zum Suizid ihres Mannes gewesen. Nach Ansicht der Richter hat sich der Verstorbene in erster Linie durch die selbst eingenommenen Medikamente umbringen wollen. Das Spritzen des Insulins diente aus Sicht des Erkrankten lediglich „der Sicherstellung des Todeseintritts“. Beides zusammen sei „Gesamtplan“ eines einheitlichen Akts gewesen, den der Verstorbene selbst bestimmt habe. Die Ehefrau habe folglich nur als seine Helferin fungiert. Zudem sei es letztlich Zufall gewesen, dass das Insulin den Tod verursacht habe. Die zuvor geschluckten Tabletten seien dazu auch geeignet gewesen, hätten aber erst später wirken können.
Die BGH-Richter nahmen den Fall zum Anlass, sich grundsätzlich zur aktiven Sterbehilfe zu äußern. Obwohl im konkreten Fall nicht entscheidungserheblich, schrieben die Richter in ihr Urteil, es sei „naheliegend“, dass der Straftatbestand der Tötung auf Verlangen einer neuen „verfassungskonformen Auslegung“ bedürfe. Die Leipziger Richter begründeten das mit dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht hat das Bundesverfassungsgericht 2020 dem Grundgesetz entnommen. Damals verwarfen die Karlsruher Richter den Straftatbestand der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, mit dem der Bundestag die Aktivitäten von Sterbehilfevereinen reglementiert hatte. Derzeit beraten die Parlamentarier in Berlin deshalb über eine Neufassung dieser Strafnorm.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte die Entscheidung. „Der Bundesgerichtshof hat das strafrechtliche Verbot der Tötung auf Verlangen de facto aufgehoben“, sagte Vorstand Eugen Brysch. „So ist der Damm zur aktiven Sterbehilfe gebrochen.“
Hilfe bei Suizidgedanken
Wenn Sie daran denken, sich das Leben zu nehmen, versuchen Sie, mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Es gibt eine Vielzahl von Hilfsangeboten, bei denen Sie – auch anonym – mit anderen Menschen über Ihre Gedanken sprechen können.
Das geht telefonisch, im Chat, per Mail oder persönlich.
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