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Erinnern an den Holocaust : Er schreibt die Geschichte der zweiten Generation

Alexander Paz-Goldman Bild: Theresa Weiß

Alexander Paz-Goldman wuchs als Kind von zwei Holocaust-Überlebenden auf. Im jungen Israel schämte er sich dafür. Heute veröffentlicht er erfolgreiche Bücher über seine Herkunft.

          5 Min.

          Er saß an der Quelle, aber er zapfte sie niemals an. Kein einziges Mal sprach Alexander Paz-Goldman mit seiner ­Mutter über Auschwitz. Sie war dort gewesen. Die Nummer an ihrem Unterarm bezeugte es. Aber ihr Sohn wollte nichts davon wissen. „Ich habe sie gehasst, weil sie nicht gekämpft hat“, sagt Alexander Paz-Goldman in seinem Wohnzimmer im Norden von Tel Aviv. Der 67 Jahre alte Jugendbuchautor denkt inzwischen anders. Aber damals, als ­Junge, in den Sechzigern, da kamen ihm Mutter und Vater wie Schwächlinge vor. Wenn er sie in ihrer Muttersprache ­Jiddisch reden hörte, rief er, sie sollten das lassen. „Es war die Sprache der Opfer.“ Und Alex wollte kein Opfer sein.

          Theresa Weiß
          Redakteurin in der Rhein-Main-Zeitung.

          Immerhin war Alex ein „Sabra“. Personen, die in Israel geboren sind, nennen sich selbst manchmal so. Es ist das hebräische Wort für Kaktusfeige, außen stachelig, innen süß, der Wüste abgetrotzt. Alex identifizierte sich mit dem jungen Staat, in dem er den beiden Holocaust-Überlebenden Lea und Eliyahu Goldman im Jahr 1955 geboren worden war. Lea Goldman, als Lea Friedman in Polen geboren, überlebte als einzige in ihrer Familie den Holocaust. Das wenige, das ihr Sohn heute darüber weiß, hat er nach ihrem Tod anhand von Dokumenten herausgefunden. Sein Vater, der aus dem Osten Polens stammte, verbrachte den Krieg in einem sibirischen Ge­fängnis. Erst in Israel trafen sich die beiden und wurden 1954 ein Paar.

          Was vorher war, wurde in der Familie nicht groß thematisiert. Alexander Paz-Goldman mochte, wie damals große Teile der israelischen Gesellschaft, nicht an das Grauen erinnert werden, nicht an die sechs Millionen Juden, die von den Nationalsozialisten ermordet worden ­waren, nicht an die fast vollständige Vernichtung. „Keiner wollte das wissen.“ Die Kinder Israels hatten ihre eigenen Probleme, mussten sich seit der Staatsgründung in mehreren Kriegen behaupten. Sie wollten stolz auf ihr Land sein und sich nicht fragen, warum die Mordmaschine der Deutschen so lange laufen konnte, und welche Demütigungen und Gräuel ihren Eltern widerfahren waren. Trotzdem schwebte die Vergangenheit über der Familie – die psychischen Probleme des Vaters, die Traurigkeit der Mutter über den Verlust ihrer Familie und die tätowierte Häftlingsnummer in ihrem Arm.

          „Die Einstellung gegenüber Überlebenden war in den Sechzigern richtig schlimm“

          Zwar war 1953 mit Yad Vashem schon vor seiner Geburt eine wichtige Holocaust-Gedenkstätte offiziell in Jerusalem gegründet worden. Doch in der breiten Gesellschaft war das Überleben scham­besetzt, und Alex hielt die Vergangenheit seiner Eltern lieber geheim. „Die Einstellung gegenüber Überlebenden war in den Sechzigern richtig schlimm“, beschreibt der Autor es heute. Man habe den Über­lebenden unterstellt, sie hätten sich wie Schafe zur Schlachtbank führen zu lassen – ein Bild, das inzwischen verpönt ist. So weisen in Yad Vashem viele Tafeln und Zeitzeugen-Aussagen auf die hinter­listigen Täuschungen hin, mit denen die La­geraufseher die Juden in die Gas­kammern lotsten, um sie zu ermorden.

          Vor dem Holocaust-Gedenktag: Besucher in Yad Vashem
          Vor dem Holocaust-Gedenktag: Besucher in Yad Vashem : Bild: AFP

          In den Jahren nach der Staatsgründung erreichten mehrere Einwanderungswellen das junge Israel. Juden mit Wurzeln in den arabischen Nachbarländern, aus Iran und Nordafrika, sowie die Überlebenden, die aus dem Osten Europas kamen. Es fehlte an Wohnungen. Staat und Landwirtschaft waren erst im Aufbau. Vor allem die Überlebenden, die nach Israel immigriert waren, waren arm. Hinzu kamen körper­liche Gebrechen, oft wegen der Lagerhaft. Auch die Goldmans lebten lange in einem der schlechteren Viertel von Ramat Gan, einem Vorort von Tel Aviv. Erst als seine Mutter 1970 eine Entschädigung von der Bundesrepublik für die erlittene Haft in Auschwitz bekam, konnte die Familie in eine bessere Gegend ziehen.

          Lea Goldman nähte, um die Familie zu ernähren. Eine der wenigen Aussagen, die Alexander Paz-Goldman von ihr selbst gehört hat, war, dass ihr eine Nähmaschine in Auschwitz das Leben gerettet habe. „Ich habe sie nie gefragt, warum.“ Er vermutet, dass sie als begabte Näherin zu vergleichsweise leichterer Arbeit gezwungen wurde, vielleicht auch für die Uniformen der Deutschen, anstatt wie ihre Mithäft­linge stundenlang in der Kälte beim Appell stehen zu müssen. Die Geschichte wird im Dunklen bleiben. Lea Goldman ist schon viele Jahre tot. Und sie hinterließ kein Tagebuch, keine Memoiren, keine persönliche Erinnerung an das Erlebte.

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