Schwangerschaft und Geburt : Schluss mit dem Baby-Gedöns!
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Auch mit manchen Eltern ist die Hebamme unzufrieden: „Da werden Entwicklungskurven auf Handy-Apps beobachtet, statt das eigene Kind genau zu beobachten.“ Bild: CBP
Livia Görner ist seit Jahrzehnten Hebamme und will nicht über die besten Kreißsäle oder die Schönheit des Stillens reden. Sie findet: Es gibt andere, echte Probleme.
Livia Görner können einige Dinge in Rage bringen. An diesem verregneten Frühlingstag zählen dazu vor allem die zahlreichen Baustellen auf Hamburgs Straßen, die Sperrungen und scheinbar endlose Staus zur Folge haben. Nachdem ihr Navigationssystem Görner geholfen hat, trotz Umleitung an die richtige Kreuzung zu gelangen, hat sie Zeit, Luft zu holen und zu den Dingen zu kommen, die sie nicht nur kurzzeitig aufregen, sondern nachhaltig beschäftigen.
Auf dem Weg bis zur nächsten roten Ampel dann fallen Stichworte wie „Mobbing“ (von Müttern im Job), „infantilisierend“ (die Beratung Schwangerer) und „#regrettingmotherhood“. „Dass die Gesellschaft und die Medien einem solch neurotischen Luxusproblem wie der angeblich ,bereuten Mutterschaft‘ mancher Frauen einen derartigen Platz einräumen, ist unverantwortlich“, sagt Görner über das Trendthema.
Eine solch realitätsfremde Diskussion verneble den Blick für die eigentlichen Konflikte, vor denen junge Mütter und Väter, Familien insgesamt heute stünden. Wer sein Muttersein bereue, benötige dringend einen Psychiater statt der Aufmerksamkeit von Verlagen, Zeitungen und Blogs. Peng, das sitzt. Görner legt den Gang ein und fährt in Richtung ihres ersten Hausbesuchs an diesem Tag weiter.
Görner ist Hebamme in Hamburg, seit Jahrzehnten. Sie hat bisher rund 4500 Geburten begleitet, um die 9000 Frauen in der Schwangerschaft und sie danach betreut. Sie ist erfahren, keine Frage, und pragmatisch. Sie tritt forsch, selbstbewusst und eloquent auf. Mit ihren Ansichten hält sie nicht hinter dem Berg. Vor rund zwei Jahren hat sie ein Buch geschrieben und es „Die Wahrheit übers Kinderkriegen“ genannt. Seitdem, so der Eindruck, hat sie Freude daran gewonnen, öffentlich ihre Meinung zu sagen und sich einzusetzen für Mütter, denen falsche Vorstellungen vermittelt werden.
Immenser Hype ums Kinderkriegen
Görner hat etwas gegen den immensen Hype ums Kinderkriegen, der jede Selbstverständlichkeit aus den Augen verliert. Sie wettert gegen esoterische Hebammen, den Mythos vom ach so wichtigen Geburtsschmerz und gegen eine Gesellschaft, die auf vielen Ebenen Frauen Steine in den Weg legt. Sie ist kein Fan von nervenschwachen Vätern im Kreißsaal und Müttern, die auf Natürlichkeit Wert legen, aber keine Hühnersuppe mehr kochen können.
„Ich sage vielleicht nicht immer das, was manche Eltern sich wünschen würden, bin nicht immer die beste Freundin. Aber Wunschvorstellungen und Irrealitäten noch zu bekräftigen hilft den Frauen nicht. Ich tue alles, damit die Familie in ihrem Alltag, in ihrer individuellen Lebenssituation gut zurechtkommt.“
Im Moment liegt Görner viel daran, deutlich zu machen, dass manch eine Frau aufgrund ihrer Behandlung als Mutter in Beruf und Gesellschaft durchaus Grund hätte, einiges zu bereuen, zu zweifeln oder das Kinderbekommen gleich zu lassen. Aber keine der Frauen, die sie heute besuchen wird, tut dies.
„Neurosenanfällige Orte“
Hamburg, so sagt Görner, sei ihr Mikrokosmos, an dem sie gesellschaftliche Trends, Stimmungen und Strömungen ablesen könne. Sie als Hebamme kommt ganz nah heran an die Schlafzimmer, Wiegen und Küchentische deutscher Familien. Manche Stadtteile, die sie durchquert auf dem Weg „zu ihren Frauen“, nennt Görner „neurosenanfällige Orte“. Darunter versteht sie Viertel, die es so auch in anderen Großstädten gibt. Sie zeichneten sich dadurch aus, dass Eltern ein „Riesen-Gedöns“ um ihre Kinder machten.