Ein Gespräch über den Tod : So wie du lebst, stirbst du auch. Oder?
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Juristin und Richterin (zurzeit beurlaubt): Elke Büdenbender, 60; 2010 wurde ihr eine Niere transplantiert, die von ihrem Ehemann gespendet wurde. Bild: Daniel Pilar
Elke Büdenbender, Juristin und Frau des Bundespräsidenten, hat mit dem befreundeten Mediziner Eckhard Nagel über den Tod gesprochen. Ein Vorabdruck aus ihrem gemeinsamen Buch.
Die Gesprächspartner: Elke Büdenbender, 60, Juristin und Richterin (zurzeit beurlaubt), seit 1995 verheiratet mit Frank-Walter Steinmeier, mit dem sie eine Tochter hat; 2010 wurde ihr eine Niere transplantiert, die von ihrem Ehemann gespendet wurde. Und: Eckhard Nagel, 61, Transplantationschirurg, Doktor der Philosophie und Ehrendoktor der Theologie; Professor in Bayreuth; verheiratet, drei erwachsene Kinder.
Elke Büdenbender: Eckhard, wie lange kennen wir uns? Zwanzig Jahre?
Eckhard Nagel: Eher dreißig.
Büdenbender: Stimmt. Wir sind 1991 nach Hannover gezogen und haben uns daraufhin ziemlich bald kennengelernt, erst Frank, mein Mann, und du, dann auch deine Frau Anne und ich. Dreißig Jahre, mein Gott. Was haben wir alles miteinander erlebt.
Nagel: Sehr viel. Damals wohnten wir in verschiedenen Wohngemeinschaften. Ein neuer Freundeskreis wuchs zusammen, in unserer Umgebung gab es die ersten Familiengründungen, und wir sind dann als Familie in das schöne Umland gezogen. Ich erinnere mich noch gut an den Umzug, bei dem auch Frank mit angepackt hat.
Büdenbender: Einige Jahre später haben wir euch dann aber aus anderen Gründen besucht auf diesem wunderbaren Hof, auf dem ihr damals gelebt habt . . .
Nagel: Ja, das war nach dem Tod von Jonathan, unserem Sohn, der auf dieser Welt nicht groß werden durfte.
Büdenbender: Das war eine wirklich schwere Zeit für euch. Ich erinnere mich noch gut an einen Besuch von Anne, als unsere Tochter Merit schon auf der Welt war. Anne war so traurig. Ich habe damals zum ersten Mal gespürt, wie sehr der Tod eines Kindes schmerzt.
Nagel: Diese Zeit empfinde ich auch nach bald drei Jahrzehnten als die schwerste in meinem Leben. Der Tod von Jonathan und anderthalb Jahre zuvor von unserer zweiten Tochter Rieke war in meiner Wahrnehmung nur deshalb zu überleben, weil wir für unsere älteste Tochter Verantwortung trugen. Die elterliche Verantwortung für das Leben trägt. Man weiß zwar: Letztlich beginnt das Sterben immer mit der Geburt. Mit dem Dasein. In meiner Erfahrung fällt das Geborenwerden eines Kindes oft damit zusammen, dass ein älteres Familienmitglied geht. Das ist die Spirale des Lebens: Der Ältere geht, und der Jüngere – oder die Jüngere – kommt. Deshalb ist es besonders schwer, wenn diese natürliche zeitliche Abfolge durchbrochen wird. Das schockiert und macht Angst. Wenn Kinder sterben, löst das eine andere, eine noch unfassbare Verzweiflung aus. Das ist der Grund, warum ich auch nicht in die Kindermedizin gegangen bin.
Büdenbender: Das war mir gar nicht klar. Wie ist dir das bewusst geworden?
Nagel: Mein ursprüngliches Ziel war es, Kinderarzt zu werden. Deshalb habe ich Medizin studiert. Dann jedoch landete ich auf der Intensivstation und merkte: Das kann ich nicht.
Büdenbender: Warum nicht?
Nagel: Auf der Station befanden sich vor allem Frühgeborene und Säuglinge mit Herzfehlern. Die Kinderintensivmedizin steckte noch in ihren Anfängen. Die Kinder lagen in Brutkästen und waren ruhiggestellt, damit man sie beatmen konnte. Während man in der Medizin normalerweise Fortschritte sieht, wurde mir klar, dass es mindestens jedem zweiten dieser Kinder von Tag zu Tag schlechter ging. Nicht besser. Mich hat das vollkommen überfordert. Es war schwer auszuhalten, dass gerade geborene Kinder eine sehr geringe oder gar keine Lebensperspektive haben. Manche sind auch unter der Therapie verstorben. Und als Arzt musste ich mit den Eltern umgehen. Ich bin jeden Abend fassungslos nach Hause gegangen, selbst wenn mal etwas Positives passiert ist. Ich habe mich immerzu gefragt: Warum darf so etwas überhaupt sein?