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Gerhard Polt wird 70 : „Spaß her und Ernst beiseite!“

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„Hätte ich schon in Frührente gehen sollen?“ Gerhard Polt, hier in seiner Münchner Wohnung, schätzt die Frage nicht, ob er nicht bald aufhören wolle. Er macht weiter.

„Hätte ich schon in Frührente gehen sollen?“ Gerhard Polt, hier in seiner Münchner Wohnung, schätzt die Frage nicht, ob er nicht bald aufhören wolle. Er macht weiter. Bild: Müller, Andreas

Der große Humorist Gerhard Polt wird siebzig. Ein Gespräch über das Leben, den Tod, die Komik und sein Schneckentempo beim Autofahren.

          7 Min.

          Mit kräftigem Händedruck und zurückhaltendem Lächeln empfängt uns Gerhard Polt in seiner Münchner Wohnung. Keine Spur von Grantlertum im Gesicht, obwohl er ungern über sich selbst redet. Kunst und antike Bücher, wohin man nur schaut, schwere Teppiche, die die Schritte verschlucken. Ein Gummibaum. Statt der legendären Wolljoppe, seiner zweiten Haut auf der Bühne, trägt er ein sandfarbenes Sakko, lila Pullover, legere Jeans und Sneakers mit Klettverschluss. „Ich bin leider nicht zum Einkaufen gekommen“, entschuldigt sich Polt. Denn die meiste Zeit lebt er am Schliersee. „Aber mögen Sie einen Espresso?“ Dann federt er, großgewachsen, in die Küche, kämpft zehn Minuten mit der nagelneuen Maschine, die ihm sein Sohn vermacht hat, man hört ihn murmeln, dann rufen: „Eine Sensation. Es läuft! Zucker bringe ich Ihnen auch noch.“ Der Mann ist ein Gentleman.

          Herr Polt, Sie werden am Montag siebzig Jahre alt. Das Münchner Literaturhaus ehrt Sie zurzeit mit einer Ausstellung. Am Eingang steht eine Stechuhr, der Besucher stempelt die Ein- und Ausgangszeit und weiß dann, wie viel Lebenszeit er mit Ihnen verbracht hat. Das war Ihre Idee. Ich bin auf 212 Minuten gekommen. Geht das in Ordnung?

          Ja, natürlich. Wenn man das Gefühl hat, man hat Zeit verbracht, das ist doch schön. Heute wird Zeit ja gerne und überall gemessen. Ganz anders, sagen wir mal, am Orinoco, da gibt es Menschen, die gar nicht wissen, was eine Uhr ist. Ich stelle mir immer vor, wie das sein muss. Ein Mensch sieht nur, dass die Sonne da steht oder da, und das langt ihm.

          Die Uhr zwingt uns also einen anderen Begriff von Zeit auf?

          Ja, das meine ich. Früher haben die Leute nicht gesagt: Ich geh jetzt auf eine Stunde ins Wirtshaus, sondern: Ich geh auf zwei oder drei Bier, oder: Ich war auf fünf Halbe. Das war die Zeiteinheit. Wunderbar! Die Gegenwelt habe ich auch mal erlebt. In Mariefred, ANTWORT: wo der Tucholsky beerdigt ist, in der Nähe von Stockholm, da gibt es eine Sonnenuhr. Eines Tages sehe ich so große Abschürfungen im Stein. Zufällig ist dann ein Wächter vorbeigegangen, und ich habe gefragt: „Sie, was ist denn da passiert mit dieser Uhr?“ Und da hat er gesagt: „Ja, die wird jetzt jedes Jahr nach Sommerzeit eingestellt.“ Das muss man sich mal vorstellen, also ich mein’, allein die Idee, da kommt ein Bagger, ein Riesenkran, und dreht das Ding aus dem 17. Jahrhundert, damit die eine Sommerzeit haben. Unfasslich.

          Im gerade erschienenen Buch „Gerhard Polt und auch sonst“ liest man, dass Sie wie eine Schnecke Auto fahren, obwohl Sie einen schnellen Wagen haben. Welcher Gewinn liegt in der Langsamkeit?

          Sie kommt vielleicht meinem Wesen entgegen. Ich kann auch Leute verstehen, die in einen Zeppelin steigen. Oder in einen Heißluftballon. Langsamkeit hat was Schönes, und wenn ich höre, die Züge fahren heute 250 Stundenkilometer und man kommt noch schneller überall hin - mit dieser Mentalität bin ich irgendwie überkreuz und bestimmt auch nicht alleine damit. Vielleicht habe ich auch ein gewisses Phlegma. Ich springe nicht sofort in die Höhe und tanze Flamenco, das liegt mir nicht.

          Herr Polt, seit Ihrem Sechzigsten sucht Sie die Frage nach dem Ruhestand heim. Sie antworten meist: Hätten Sie das Picasso auch gefragt? Was haben Sie dagegen?

          Na ja, ich finde es halt unüberlegt. Hätte ich vielleicht sogar schon in Frührente gehen sollen, hätte der Picasso vielleicht schon mit 42 aufhören sollen mit dem Malen? Das ist einfach töricht. Künstler ist ein Beruf, den ja die meisten, ausgenommen Tänzer vielleicht, bis zum Lebensende ausüben können. Das ist ja eine Gnade.

          Also machen Sie es wie Johannes Heesters. Der hat stolze neunzig Jahre auf der Bühne verbracht.

          Vielleicht nicht so lange wie der Heesters. Aber warum sollten die Bühnen auf einen Rolf Boysen mit neunzig verzichten? Das ist doch gerade das Tolle. Ein gewisses Gesicht und ein gewisses Alter, das ist genau das, auf das wir warten. Und wenn ich mir einfach die Zeit und die Jahre nehme, bis ein Gesicht entsteht, ist das doch wunderbar.

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