Ethikberater : „Sie wissen nie alles“
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Eine Therapeutin hält in einem Hospiz die Hand einer kranken Patientin. Bild: dpa
In dieser Woche hat der Bundestag wieder über die Sterbehilfe diskutiert. Die Arbeit von Ethikberatern wie Kurt Schmidt oder Professor Markus Sold, Chefarzt einer Intensivstation, hat dabei keine Rolle gespielt. Dabei könnten sie helfen, Antworten zu finden.
Kurt Schmidt fällt einem nie ins Wort, hört sich jeden Satz bis zum Punkt an. Der Klang seiner Stimme ist sanft. Man merkt, Sprache ist sein Werkzeug, richtiges Zuhören Teil seines Jobs. Schmidt leitet das Zentrum für Ethik in der Medizin am Frankfurter Agaplesion Markus Krankenhaus. Der evangelische Pfarrer hat täglich mit Fragen zu tun, die man gerne so lange vor sich herschiebt, bis es (fast) zu spät ist. Das Thema Sterben zählt dazu.
Sein Büro liegt an einem schlichten Krankenhausflur im Erdgeschoss der Klinik. Sind Patienten noch in der Lage, dorthin zu kommen, in der kleinen Sitzecke mit dem niedrigen Tisch Platz zu nehmen und zu äußern, was sie wollen, dann sind das schon keine einfachen Gespräche. Aber noch deutlich schwieriger wird es, wenn der Mensch, um dessen Leben es geht, selbst nichts mehr dazu sagen kann. Weil er im Koma liegt, geistig verwirrt oder körperlich stark geschwächt ist. Dann geht es darum, während einer „ethischen Fallbesprechung“ den „mutmaßlichen Patientenwillen“ zu ermitteln, um die Frage zu beantworten: Wie würde der Patient entscheiden, wenn er könnte?
Diese Frage versucht Schmidt nicht allein zu beantworten. Viel mehr fungiert der Medizinethiker als Scharnier. Er bringt Pfleger, Ärzte, Therapeuten und Angehörige an einen Tisch.
Herr Schmidt, wann werden Sie von Ihren Kollegen angerufen?
Häufig, wenn nicht klar ist, was jetzt dem Wohl des Patienten dient. Ein typisches Beispiel ist: Ein Patient ist bewusstlos. Medizinisch kann einiges für ihn getan werden, aber es ist nicht klar, ob dieser auch alle Maßnahmen noch wünscht. Und da der Patient sich nicht äußern kann, gilt es, den „mutmaßlichen Willen“ zu ermitteln, denn der Arzt braucht grundsätzlich die Zustimmung des Patienten.
Warum lassen sich solche Fragen nicht zwischen Ärzten, Patient und Angehörigen allein klären?
Im Klinikalltag geschieht das ständig. Es ist der Normalfall. Es gibt aber Situationen, da ist es für alle Beteiligten hilfreich und entlastend, wenn eine neutrale Person hinzukommt. Ich selbst bin kein Angestellter der Klinik und habe keine medizinische Verantwortung für den Patienten. Ich komme als neutraler Moderator. Ich konzentriere das Gespräch auf die ethischen Aspekte, wenn wir gemeinsam überlegen, was für den Patienten gut ist und wie wir die zu treffenden Entscheidungen verantworten können.
Wie versucht man so wahrhaftig wie irgendwie möglich den mutmaßlichen Patientenwillen zu ermitteln?
Verkürzt gesagt, erfolgt das mit zwei Expertengruppen. Die einen haben das nötige medizinische Wissen, das sind Ärzte, Pflegekräfte und Therapeuten; sie stellen die Krankheitssituation dar und beschreiben, was therapeutisch möglich ist, wo Chancen und Risiken liegen. Die andere Gruppe weiß über die Wertewelt des Patienten Bescheid, das sind Angehörige und Freunde, sozusagen die Experten für das Persönliche. Mit dem Wissen beider versucht man, sich dem Willen des Patienten so präzise wie möglich zu nähern, um die Frage zu beantworten: Was würde er jetzt sagen?
Und wie setzt sich die Entscheidung dann zusammen? Fünfzig, fünfzig?