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Erwachsene Kinderstars : Berühmt, vergessen, was dann?

Erst der Durchbruch, danach die Leere: Als Balletttänzerin „Anna“ wurde Silvia Seidel berühmt, im Alter von 42 Jahren nahm sie sich das Leben.

Erst der Durchbruch, danach die Leere: Als Balletttänzerin „Anna“ wurde Silvia Seidel berühmt, im Alter von 42 Jahren nahm sie sich das Leben. Bild: Bildstelle

Nach dem Tod von Silvia Seidel fällt auf, dass auch andere ehemalige Kinderschauspieler kaum gute Rollen haben. Warum eigentlich nicht, und wie fühlt sich das an? Unsere Autorin hat mit einigen gesprochen.

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          Pornoproduzent Dino Baumberger war sich sicher: „Solche Videos tun der Karriere gut. Das wissen die Damen auch.“ Ob Paris, Gina-Lisa, Dita oder Pamela - ihnen allen hätten Sexvideos nicht geschadet, sondern finanziell und beruflich genutzt. Und nun zickte Radost Bokel, die als Elfjährige 1986 die „Momo“ gespielt hatte und gerade im „Dschungelcamp“ saß, rum. Sie verlangte, dass ein Video, das sie beim Sex zeigte und von irgendjemandem ganz ohne ihre Erlaubnis auf Baumbergers Seite gestellt worden war, nach nur drei Tagen wieder entfernt wurde. Baumberger fand das dumm: „Nun verdient sie noch nicht einmal daran.“

          Katrin Hummel
          Redakteurin im Ressort „Leben“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

          Das war Anfang Januar. Seitdem ist viel passiert, jedenfalls für Radost Bokel, 37: Sie flog aus dem „Dschungelcamp“, weil sie keine Elefantenhoden essen wollte, und wurde als Nscho-tschi von den Karl-May-Festspielen in Elspe engagiert. „Für mich hat sich das Dschungelcamp gelohnt“, sagt sie. „Vorher kannten mich nur die Leute ab dreißig, weil die ,Momo’ gesehen hatten. Jetzt kennen mich auch die Kiddies wieder. Man muss eben bekannt sein, wenn man Rollen haben will.“

          Zuletzt vermittelte sie nur noch die Arbeitsagentur

          Stimmt. Unbekannte Schauspieler haben es schwer. Und noch viel schwerer, wenn sie früher mal berühmt waren und wissen, wie sich Erfolg anfühlt. In dieser Woche starb eine weitere ehemalige Kinderschauspielerin, die zuletzt nur noch von der Arbeitsagentur vermittelt wurde. Ähnlich wie letztes Jahr Mick Werup, der in den achtziger Jahren in der ZDF-Serie „Diese Drombuschs“ bekannt wurde und seitdem nur noch kleinere Rollen gespielt hatte, nahm sich offenbar auch Silvia Seidel, die 1987 in dem ZDF-Weihnachtssechsteiler „Anna“ als Ballerina ein Millionenpublikum verzaubert hatte, das Leben. „Man findet keine Rollen mehr“, erklärt Patrick Bach, ihr Serienpartner von damals, „das war in den Achtzigern und Neunzigern noch anders. Heute werden von den Sendern 60 bis 80 Filme im Jahr gestrichen, die in den Produktionsetats noch vorgesehen waren. Ein kontinuierlicher Rückgang seit Jahren.“ Der damit zusammenhängt, dass es immer mehr Realityshows gibt und immer weniger Filme, die mit Schauspielern produziert werden.

          Bach, der 1981 in „Silas“ über Nacht zum Star wurde, danach in „Jack Holborn“ und schließlich in „Anna“ an der Seite von Silvia Seidel spielte, arbeitet inzwischen hauptsächlich als Synchronsprecher - ebenso wie Hendrik Martz, der 1984 im Weihnachtstmehrteiler „Patrik Pacard“ die Hauptrolle spielte. Thomas Ohrner, Star des ZDF-Mehrteilers „Timm Thaler“, war zwar in einigen Filmen und Serien und als Moderator zu sehen, ein großer Fernsehstar wurde aber auch er, heute 47, nie wieder.

          Silvia Seidel als Balletttänzerin „Anna“. Bilderstrecke
          Silvia Seidel als Balletttänzerin „Anna“. :

          „Es gibt Kinderrollen für Erwachsene nicht“

          Jenseits der Landesgrenzen sieht es nicht besser aus: Inger Nilsson, die schwedische Pippi Langstrumpf von 1969, arbeitete nach ihrer Schulzeit als Sekretärin, hatte danach nur noch kleinere Rollen und ging vor drei Jahren ins schwedische „Dschungelcamp“. Bei Heintje kam der Karriereknick mit dem Stimmbruch, und auch Macaulay Culkin, der ehemalige Kinderstar aus „Kevin allein zu Haus“, konnte seinen Erfolg nicht ins Erwachsenenalter retten. Selbst Daniel Radcliffe sorgte sich gegen Ende der Dreharbeiten von Harry Potter: „Vielleicht werden sie mich bald nicht mehr haben wollen, weil ich zu groß bin oder Pickel bekomme.“ Das Verfallsdatum für den Ruhm von Kinderstars ist nur wenig länger als das von ungeöffneter H-Milch. Aber warum eigentlich?

          Bernhard Hoestermann, Geschäftsführer der gleichnamigen Schauspielagentur, der Stars wie Robert Stadlober und Muriel Baumeister betreut, sieht vor allem die Schauspieler selbst in der Verantwortung: „Wenn ein Kinderstar es nicht schafft, die unschuldige Natürlichkeit, mit der er seine frühen Rollen gespielt hat, durch einen größeren Reichtum von Ausdrucksmöglichkeiten im Erwachsenenalter zu ersetzen, wird er Probleme bekommen. Es gibt diese Kinderrollen für Erwachsene nicht, und wenn sich ein ehemaliger Kinderschauspieler nicht weiterentwickelt, wird er von Film zu Film eintöniger wirken.“ Seiner Meinung nach muss jemand, der den Beruf dauerhaft ausüben will, im Alter zwischen fünfzehn und zwanzig Schauspielunterricht nehmen - auch wenn er schon sehr erfolgreich war: „Da wird man interessant und vielfältig. Man lernt, Rollen zu spielen, die der eigenen Persönlichkeit fremd sind.“

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