Das Ende der Pin-up-Kalender : Die nackten Zeiten sind vorbei
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Als Klischees noch Wirklichkeit waren: Fotografin Simone van de Loo hat Dutzende Pin-up-Kalender in Werkstätten fotografisch festgehalten. Bild: Simone van de Loo
Was bringt das Jahr 2023? Eines ist gewiss: Die Tage der „Modelkalender“ sind endgültig gezählt. Simone van de Loo hat sie noch im Bild festgehalten.
Jeder hat einen anderen Namen für diese Kalender, für die es bald wahrscheinlich keinen Namen mehr braucht. Auf Ebay heißen sie seltsam steif „Damenkalender“. Oder direkter: „Erotik-“ und sogar „FKK-Kalender“. Der Motorenöl-Hersteller Liqui Moly nannte ihn „Girlskalender“. Und Würth, der größte Schraubenhändler der Welt, sprach vom „Modelkalender“.
„Ich finde, Pin-up-Kalender trifft es gut“, sagt Simone van de Loo. Die Fotografin war in den vergangenen sechs Jahren in Dutzenden Werkstätten. Dort hat sie Bilder gemacht von einer Welt, in der Klischees noch Wirklichkeit waren. Ihre Fotos zeigen die ölbefleckten Wände von Autowerkstätten, an denen Bilder von Frauen in Bikinis, Dessous oder Latex hängen. Manchmal schauen den Betrachter auch nackte Nippel an.
„Ich habe eine Sinnlichkeit empfunden, die durch die Mädchen auf den Kalenderblättern verkörpert und verstärkt wird“, sagt Simone van de Loo über ihre Besuche in den Werkstätten. Sie sieht in ihren Kompositionen „einen Kontrast und doch zugleich ein ganz natürliches Zusammenspiel“.
Schon mit dieser Wortwahl dürfte die 1963 geborene Fotografin auf einigen Widerspruch stoßen. Denn die Kalender, die seit Langem umstritten sind, haben in den vergangenen Jahren so sehr an Akzeptanz verloren, dass es schwer werden wird, 2023 noch ein aktuelles Exemplar zu finden.
Eine Auflage von 630.000 Stück
Zuletzt verkündete Würth das Ende seines Modelkalenders. „Berufsbilder werden immer weniger im Verständnis von klassischen Rollenmodellen besetzt. Das unterstützen auch wir“, teilte das Unternehmen mit. Auf Twitter hatte es einen Shitstorm für den Kalender geerntet. Würth-Kundinnen hatten sich über ihn beschwert und bestimmt auch einige Ehefrauen aus dem Würth-Imperium, die der 87 Jahre alte Schraubenmilliardär Reinhold Würth einmal „die heimlichen Mitarbeiter unseres Hauses“ genannt hatte.
Der ehemalige „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt hängte den Modelkalender in der Redaktion seines Youtube-Kanals auf. So berichtete im September die „Neue Zürcher Zeitung“. Aber auch das rettete ihn nicht mehr. Anders als die beeindruckende Kunstsammlung Würth mit Werken von David Hockney, Carl Spitzweg und Max Ernst war der künstlerisch nicht ganz so wertvolle Modelkalender längst aus der Zeit gefallen.
Bis zuletzt hatte er eine Auflage von mehr als 630.000 Stück gehabt. Heidi Klum und Claudia Schiffer ließen sich einst für den Kalender fotografieren, zwischendurch wurde er nicht nur an die Würth-Kunden und -Kundinnen verteilt, sondern auch für 25 Euro das Stück verkauft. Für Simone van de Loo ist er „Kult“. Aber die Fotografin war bei ihren Recherchen auch in einer Werkstatt, in der man den Niedergang der „Damenkalender“ gar nicht schlecht findet.
Mit Männerkalendern versuchten Unternehmen, die Wogen zu glätten
„Wenn solche Kalender hängen, darf man sich nicht wundern, dass Männer ständig Witze über Frauen machen“, sagt Christine Maurer. Sie führt die Vespa-Werkstatt „Vespenstich“ im Frankfurter Gallusviertel. Van de Loo war vor Jahren bei Maurer zu Besuch und entdeckte einen Kalender mit fast nackten Männern im Aufenthaltsraum des „Vespenstichs“. Maurer kann sich vage erinnern. Sie sagt, über den Männerkalender hätten sie sich im Team keine großen Gedanken gemacht. Hauptsache, dass dort kein Pin-up-Girl-Kalender hing.
Mit den Männerkalendern hatten Unternehmen wie Förch und Würth versucht, die Wogen zu glätten. „Schaut her“, sollten sie aussagen, „bei uns herrscht jetzt Gleichberechtigung unter den leicht bekleideten Models.“ Dabei ist es natürlich nicht so einfach. Mechanikerinnen wie Christine Maurer sind in den Werkstätten immer noch die absolute Ausnahme. Frauen kamen und kommen dort vor allem als Sexobjekte und nicht als echte Menschen mit Fähigkeiten und Wissen vor.
Der Geräte-Hersteller Stihl versuchte, diese Problematik zu umgehen, indem er die Models zwar in anzüglichen Posen, aber bei der Gartenarbeit zeigte, mit Motorsägen und Hochdruckreiniger. Auf dem Dezemberblatt war außerdem immer ein männliches Model zu sehen. Die schwedische Forstagentur überzeugte das nicht. Sie verkündete im Dezember 2020, „dass keine Geräte von Stihl mehr beschafft werden, solange weiterhin Kalender mit wenig bekleideten Frauen veröffentlicht werden“. Für 2021 druckte Stihl keinen Kalender mehr.
Auch der Motorenöl-Hersteller Liqui Moly hat seinen Kalender nach der 2022er-Ausgabe eingestellt. Nicht gerade freiwillig, wie der ehemalige Chef des Unternehmens gerne betont. Ernst Prost sieht sich als Opfer des Zeitgeists, immer wieder habe er „Schimpfe“ bekommen wegen des „Girlskalenders“. Das sei ihm schließlich zu blöd geworden.
Simone van de Loo vermeidet es, die „Girlskalender“ von Liqui Moly zu fotografieren. „Unästhetisch“ findet die Fotografin die Aufnahmen. Das habe dann auch in ihren eigenen Bildern nicht funktioniert. Die Nacktheit und die Tatsache, dass es nur weibliche Models waren, stört sie nicht. „Ich habe den Eindruck: Je freizügiger es bei Instagram wird, desto verkrampfter ist es draußen. Das ist eine gewisse Doppelmoral.“
Christine Maurer von der Vespa-Werkstatt würde sich wünschen, dass die Unternehmen ihre Kalender weiterdenken. Dass sie Männer und Frauen in typischen Berufssituationen zeigen. Dann hätte sie auch nichts mehr gegen einen Bikini hier und da. Das Model könnte ja dann trotzdem noch eine Latzhose tragen.