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Eltern drogensüchtiger Kinder : Nur Zuschauer

Kinder auf Drogen glauben, sie fliegen. Ihre Eltern wissen, sie fallen, können sie aber nicht fangen. Bild: Thomas Fuchs, Bearbeitung: F.A.Z.

Tom und Fiona wurden als Jugendliche drogensüchtig. Ihre Eltern fragten sich, was sie falsch gemacht haben, und wollten helfen. Aber ihnen ging es wie vielen Eltern in dieser Situation: Sie konnten nur zuschauen.

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          Erst war Tom* so stürmisch. Dann war er so still. Toms Eltern fragten: „Was ist mit dir? Nimmst du irgendwas?“ Tom sagte immer nein. Sie glaubten ihm. Er belog sie weiter, sie gaben ihm Taschengeld, davon kaufte er seine Drogen. Als die Eltern es erfuhren, war Tom 19, als er mit Kiffen anfing, wahrscheinlich 13. Beatrice Eberl und ihr Mann haben das so rekonstruiert. Die Erkenntnisschübe kamen nach und nach. Jetzt ergab alles einen Sinn, die roten Augen, die Wutausbrüche, das verschwundene Geld. Die Zeit aber, in der sie jedes von Toms Lebensjahren in Gedanken abgingen, um ihren Teil Schuld darin zu finden, ist vorbei. Das war einmal anders.

          Mona Jaeger
          Stellvertretende verantwortliche Redakteurin für Nachrichten und Politik Online.

          Tom war zehn Jahre alt, als sein geschiedener Vater eine neue Frau fand, Beatrice. Sie brachte zwei Töchter in die Patchworkfamilie. Tom wie auch seinen jüngeren Bruder nannte sie bald „unseren Sohn“. Er kam in die Pubertät. Seine neuen Schwestern zog er an den Haaren, seine Stiefmutter giftete er am Abendbrottisch an: „Nur weil du die neue Tussi von meinem Vater bist, hast du mir noch lange nichts zu sagen.“ Pubertät eben, dachte Beatrice damals, und das sagt sie auch noch heute. Wo ist die Grenze? Wie lange soll man als Eltern warten, wenn der Sohn immer launischer wird, die Türen schmeißt, mit verquollenen roten Augen aus dem Zimmer kommt?

          Es war nie leicht, Tom Grenzen zu setzen

          Er spiele eben viel am Computer, sagte Tom. Und das tat er ja tatsächlich. Er kam manchmal spät nach Hause, huschte in sein Zimmer. Seine Alkoholfahne stand noch lange im Flur. Gehört doch auch zum Erwachsenwerden dazu, fanden die Eltern. Aber Beatrice Eberl dachte manchmal schon: solange es nur Alkohol ist.

          Tom Grenzen zu setzen, war nie leicht. Schon früh wurde bei ihm ADHS diagnostiziert. Er brauste schnell auf, und eine halbe Stunde über den Schulaufgaben zu sitzen, war für ihn eine Qual. Der Applaus der Freunde für einen Streich war ihm wertvoller als eine Zwei in Mathe. Wahrscheinlich ging in diesen Freundescliquen der erste Joint herum, und Tom griff zu. „Der Alltag war mühsamer, für ihn wie für uns. Aber eigentlich war es nie ein Problem“, sagt Mutter Beatrice. Die drei Geschwister hatten kein ADHS. Tom bekam Ritalin. Das habe ihn ruhiger und strukturierter gemacht, sagt Beatrice. Das habe er auch so gesehen. Vielleicht war Ritalin Toms erste Droge.

          Mit 16 nahm er die Tabletten nur noch unregelmäßig. Rebellion womöglich, dachten die Eltern. Tom sah jetzt ja überhaupt etwas wilder aus. Seine Augen wurden röter und röter. Da sagt eine der beiden Töchter zur Mutter: „Guck ihn doch mal an. Der kifft doch mindestens.“ Für Beatrice war klar, den Sohn nimmt sie auch gegenüber ihrer Tochter in Schutz. Und selbst wenn: Ist ab und zu kiffen denn so schlimm? Gerochen oder im Zimmer gefunden hat sie nie etwas, das hat sie damals beruhigt. Heute sagt Beatrice, Dutzende Erkenntnisschübe später: „Da haben wir uns zu schnell von Tom einlullen lassen.“

          Tom verkaufte Hausrat für Drogen

          Tom wusste um das Vertrauen seiner Eltern. Als Geld im Zimmer der Schwester fehlte, hieß es: „Wahrscheinlich hast du es nur verlegt.“ Das Fahrrad, das vom Hof verschwand, meldeten sie bei der Polizei als gestohlen. Wahrscheinlich hat Tom es für Drogen verkauft, wie anderen Hausrat, der plötzlich weg war. Tom, gerade 17, musste schon tief drin gewesen sein in der Sucht. Aber: Er ging weiter zur Schule, machte die Mittlere Reife mit Notendurchschnitt 2,0, zog aus und suchte sich zügig eine Stelle als Zivildienstleistender. Das ist es, was die Eltern bis heute nicht verstehen: klar im Kopf, aber immer zugedröhnt.

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