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Der Pop-Theologe Günter Hegele : Dürfen Christen twisten?

  • -Aktualisiert am

Immer up to date: Mehr als für Schlager interessiert sich Günter Hegele heute für Computer Bild: Michael Kretzer

Pfarrer Günter Hegele ist als experimentierfreudiger Veränderer in seiner Kirche aufgetreten und hat die Pop-Theologie begründete. Er blickt auf ein Leben zurück, in dem es nicht nur harmonische Klänge gab.

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          „Es ist erstaunlich, was es bei Youtube alles gibt“, meint Günter Hegele. „Der Auftritt von Trude Herr aus meiner Sendung ist da auch noch. Ich habe ihn mir gerade mal wieder angesehen.“ Für einen Fünfundachtzigjährigen ist das ein ungewöhnlicher Zeitvertreib, erst recht, wenn ein Pfarrer zurückblickt.

          Umtriebig war Günter Hegele, zuletzt bis 1991 Professor für Praktische Theologie an der Evangelischen Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum, zeitlebens. Sitzt man ihm in seinem Wohnzimmer gegenüber, rahmen da eine alte Puppenstube und ein Kabinettschrank, Fenstersterne und zahlreiche Zimmerpflanzen zwei Sitzgruppen zwar behaglich ein. Aber der Raum war immer Schauplatz geschäftigen Beieinanders.

          Im Arbeitszimmer mit der altdeutschen Schrankwand tobt stumm der Clash of Cultures – auf Bücherregalen west der Taschenbuch-Geist der Fünfziger und Sechziger, im Fensterwinkel dräut der elektronische Flügelaltar, Hegeles Cockpit ins Netz: vier Monitore, drei Drucker, drei Scanner, diverse Computer. Immer noch steht er damit für die Verkündigung auf Posten.

          Auf aktuellem Standard war er immer. Hegele, der seinen Ruhestand mit seiner Frau, einer pensionierten Grundschulpädagogik-Professorin, in einer Wohnanlage am Rand von Landau verlebt, ist als experimentierfreudiger Veränderer in seiner Kirche aufgetreten. Und verfasste nicht nur Standardwerke für Christen, sondern half auch als Jury-Mitglied 1962 dabei, Conny Froboess’ „kleine Italiener“ bei den Schlagerfestspielen in Baden-Baden auf Platz eins zu hieven. Wencke Myhres Sieg mit „Beiß nicht gleich in jeden Apfel“ 1966 kann er ebenfalls anteilig buchen.

          Hegele schritt voran

          Als Münchner Studentenpfarrer und Tagungsleiter der Evangelischen Akademie Tutzing versuchte er damals, christliche Wertmaßstäbe in der Nachkriegs-Schlagerwelt aufzurichten. Seine Vehikel: Lieder-Preisausschreiben und eine evangelische Platten-Postille. Ihn selbst machte das Pilotprojekt als „Schnulzenpfarrer“ bekannt.

          Nach Tutzing geriet er nach Theologiestudium, einem Auslandsjahr am Wartburg Seminary in Dubuque (Iowa) und zwei Jahren Vikariatszeit in Augsburg durch einen zwingenden Umstand: Angehende Pastorenfrauen mussten damals noch einen „Pfarrerbräutekurs“ absolvieren, bayerische in Tutzing. Als Hegele seine Verlobte Irmintraut dort besuchte, lernte er Akademieleiter Hildmann kennen, der ihn 1958 an sein Institut holte. Tutzing war bemüht um Modernität und anspruchsvolle Referenten. Hegele organisierte Tagungen zu „Kirche und Sport“, zum „Menschenbild der ,Bild’-Zeitung“. Unterm Stichwort „Schlager-Seelsorge“ ging er hausgemachten Ärger an: Sänger Ralf Bendix („Babysitter Boogie“) hatte 1957 im amerikanischen Show-Geschäft ein ungenutztes Genre bemerkt: religiöse Schlager. „Es war im Anfang noch vor unsrer Zeit, und die Erde war wüst und leer“, sang er in seiner Coverversion von Frankie Laines „In the Beginning“, „da sprach der Herr, es werde nun Licht, und er schuf das Land das Meer.“ Der bedrückende Refrain („Doch wir Menschen wollen nicht verstehen, sehen seiner Werke Schönheit nicht“) rief zur Einkehr, so wie die abschließende Mahnung: „O Mensch, nutz die Zeit! Deine Jahre vergehn und du wirst einst vor ihm stehn!“

          Eine evangelische Kirchenmusik-Kommission stufte das als Kitsch ein, die Radioausstrahlung in Deutschland wurde unterbunden. Befürworter modernerer Glaubensäußerung murrten. Diese Stimmung griff Hegele auf. Ende 1958 ließ er erstmals Vertreter der Unterhaltungsbranche, Texter wie Ralph Maria Siegel und Fred Rauch, mit Kirchenvertretern diskutieren. Man ging mit dem Ergebnis auseinander, die Kirche dürfe nicht abseits stehen.

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