Das Dilemma der Eltern : Mama, machen wir jetzt mein Referat?
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Anke Willers’ Buch „Geht’s dir gut oder hast du Kinder in der Schule?“ beschreibt die Situation von Eltern als ungewollte Hilfslehrer ihrer Kinder. Bild: dpa
Es ist pädagogisch falsch – aber alle Eltern tun es und die Schulen erwarten es stillschweigend: Mehr als zehn Jahre hat Anke Willers Hilfslehrerin für ihre beiden Töchter gespielt. Jetzt hat sie ein Buch darüber geschrieben.
Vielleicht ist es das bayerische Schulsystem, vielleicht hatten meine Kinder auch besonders ambitionierte Erstklasslehrer, vielleicht hatten die Mütter im Kindergarten doch recht gehabt mit ihrer vorschulischen Leseförderung – auf jeden Fall war die Botschaft bei beiden Kindern: „Bis Weihnachten müssen die einigermaßen lesen können. Und deshalb müssen Sie üben, üben, üben. Jeden Tag mindestens 15 Minuten, besser mehr“, hieß es am ersten Elternabend.
Mit „Sie“ war ich gemeint. Oder der Kindsvater. Oder die Omas und Opas. Da unsere Großeltern Hunderte von Kilometern entfernt lebten und der Kindsvater am anderen Ende der Stadt Vollzeit arbeitete, blieb nur ich übrig. Denn ich hatte meine Stunden in der Redaktion wegen der Kinder reduziert.
Letzteres war auch nötig, denn bis Weihnachten war nicht viel Zeit. Ich versuchte damals auch, mich daran zu erinnern, wann ich selbst lesen gelernt hatte. Ich glaube, ich konnte es erst irgendwann um Pfingsten – was aus bayerischer Sicht kein Wunder ist, denn in Bayern gelten Menschen, die in nördlichen Bundesländern zur Schule gegangen sind, gerne mal als arme Würstchen mit Spar-Abitur.
Fakt war: Wir übten
Als meine Töchter in die Grundschule gingen, gab es für Leseanfänger Arbeitsblätter und -bücher mit „Mimi, die Lesemaus“. Bis heute habe ich eine gewisse Hochachtung vor den Leuten, die sich die Erstklassmaterialien ausdenken. Ich meine, das muss man erst mal hinkriegen: Lesesätze kreieren, wenn man dafür nur das A, das I und eine Handvoll weiterer Laute zur Verfügung hat. Die Macher der Erstklasslesebücher schienen da allerdings völlig schmerzbefreit und dichteten Sätze von schlichter Schönheit: „Mimi malt lila Marias.“ „Backmeister Bimbam backt braune Brezn.“ „Oma ist am Lamm.“ „Ali ist am Ast.“
Mal abgesehen davon, dass es mir oft schwerfiel, bei dieser Lektüre konzentriert zu bleiben und nicht nebenher die Spülmaschine auszuräumen oder wenigstens die Post durchzusehen, war ich immer froh, wenn die Kinder keine weiteren Fragen stellten. Ich wäre relativ ratlos gewesen, wenn sie gefragt hätten, was es bedeutet, dass Ali am Ast ist. Hat der Mann Selbstmordabsichten? Handelt es sich um einen Waldarbeiter mit Migrationshintergrund? Und warum ist Oma am Lamm? Zum Streicheln. Zum Kochen. Oder muss sie ihre Rente aufbessern und arbeitet stundenweise in der Frischfleischabteilung?
Fakt war: Wir übten. Und ich versuchte dabei möglichst wenig vorzusagen. Doch anscheinend war das nicht genug. Im Mitteilungsheft stand regelmäßig: „Greta liest die neuen Wörter zu stockend und zu ungenau und muss mehr üben.“
Ganz wichtig: Eltern sollen keinen Druck machen !
Und in den Schreibheften, die ich wegen der lustigen Verballhornungen jahrelang aufgehoben habe, gab es neben dem „Furzelgemüse“ Kommentare in roter Korrekturschrift: „Wurzelgemüse! Greta, übe den Unterschied zwischen dem weichen W und dem scharfen F.“ Oder: „Bitte die Merkwörter noch mal ordentlich abschreiben.“ Oder: „Greta, gib Acht beim G: Das Schwänzchen muss nach unten in den Keller.“
Wie ich versuchte, mich zu kümmern – aber nicht zu viel
Eltern sollten keinen Druck machen.
Eltern sollten keinen Druck machen.
Eltern sollten keinen Druck machen.
Diesen Satz habe ich so oft gehört, dass ich ihn hier gleich mehrmals hinschreiben muss. Manchmal stand er sogar in der Zeitung. Meistens dann, wenn es Zeugnisse gab und meine Journalisten-Kollegen von den Tageszeitungen Psychologen zum Thema schlechte Noten befragten. Deren Credo lautete: „Bitte ganz entspannt bleiben. Immer dran denken: Kein Kind will schlechte Noten haben. Und: Bitte! Keinen! Druck! Machen!“