Hochzeit von Christian Lindner : Mit Gottes Hilfe, aber ohne Kirchensteuer?
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Frisch vermählt: Christian Lindner und Franca Lehfeldt verlassen das Sylt-Museum nach ihrer standesamtlichen Hochzeit. Bild: dpa
Bundesfinanzminister Christian Lindner will Franca Lehfeldt auch kirchlich heiraten, obwohl beide nicht in der Kirche sind. Von einer „Lex Lindner“ will die Pröpstin aber nichts wissen.
Der weltliche Part seiner Eheschließung stand schon am Donnerstagnachmittag auf dem Plan von Bundesfinanzminister Christian Lindner. Zu dieser Zeit hatte der 43 Jahre FDP-Politiker einen Termin auf der Insel Sylt, um dort vor einem Standesbeamten seine 33 Jahre alte Verlobte Franca Lehfeldt zu ehelichen. Der kirchliche Part soll am Samstag in der örtlichen evangelischen Kirche St. Severin folgen. Allerdings ist angeblich keiner der beiden Mitglied einer Kirche. Christian Lindner ist nach eigenen Angaben mit 18 Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten.
Franca Lehfeldt sei ebenfalls aus der Kirche ausgetreten, in diesem Fall der evangelischen, berichtet die „Bild“-Zeitung. Sie dürfte über beste Quellen verfügen, denn Lehfeldt arbeitet für den Fernsehsender „Welt“, der wie „Bild“ zum Axel-Springer-Verlag gehört. Beide Partner betrachteten sich als „liberale Freigeister“, heißt es im Vorbericht zur Hochzeit.
Wäre zumindest Franca Lehfeldt Mitglied der evangelischen Kirche geblieben, gäbe es keinen Anlass für Bedenken. Denn in den „Grundlinien kirchlichen Handelns“ der evangelisch-lutherischen Nordkirche von 2020 wird als Voraussetzung einer Trauung aufgeführt, dass „mindestens“ einer der beiden Partner Mitglied der evangelischen Kirche ist. Den Fall, dass keiner der beiden Mitglied ist, sieht das Regelwerk indes nicht vor. Die Bochumer Theologieprofessorin Isolde Karle hält die Trauung zweier Nichtmitglieder für „erstaunlich und ungewöhnlich“.
Die Gültigkeit der Eheschließung ist aus theologischer Sicht dabei gar nicht das Problem. Nach lutherischer Auffassung wird die Ehe nämlich vollgültig vor dem Standesbeamten geschlossen. In der Kirche spricht der Pfarrer diesem schon geschlossenen Bund dann den Segen zu. Allerdings werden in der evangelischen Trauung auch Elemente der katholischen Auffassung weiter mitgeführt, dass das Brautpaar die Ehe in der Kirche schließt. Der Ringwechsel und das Trauversprechen („Ja, mit Gottes Hilfe“) zählen dazu. Der bei Kirchenfunktionären beliebte Versuch, die Trauung „bloß“ als Segnungsgottesdienst zu deuten, bei dem es auf einen religiösen Akt der Brautleute gar nicht ankommt, stimmt also zumindest mit der rituellen Praxis der Kirche nicht überein.
Wie also begründet die Nordkirche, dass sie im Fall Lindner/Lehfeldt gegen ihre Grundlinien verstößt? Die zuständige Pröpstin Annegret Wegner-Braun legt Wert darauf, dass es keine „Lex Lindner“ gebe und verweist auf einen Beschluss der Nordkirchen-Synode von 2020, laut dem eine Trauung auch dann möglich ist, „wenn Menschen, die nicht Kirchenmitglieder sind, danach fragen“.
Den offenkundigen Widerspruch zwischen den beiden Normen, die ein- und dieselbe Synode in ein- und demselben Jahr beschlossen hat, möchte Wegner-Braun nicht zu hoch hängen. Wer die Abläufe einer Synode kenne, wisse, dass es sich um „Konsenspapiere“ handele. Wichtiger sei die seelsorgerische Freiheit der Pastoren. In der Gemeinde St. Severin gebe es einen Beschluss des Kirchengemeinderats, dass die Pfarrerin in „besonderen Ausnahmefällen“ an diesem „besonderen Ort“ auf der Insel Sylt auch Nichtmitglieder trauen dürfe.
Nach Auffassung der Theologieprofessorin Karle zeigt der Fall Lindner/Lehfeldt exemplarisch das Dilemma der Kirche zwischen „Öffnung“ und „Schließung“ angesichts zunehmender Entkirchlichung. Einerseits möchte die Kirche für alle offen sein und präsent bleiben, andererseits darf sich die Kirche in diesem Prozess nicht bis in ihre rituellen Kernbereiche selbstsäkularisieren.
Dabei geht es nicht nur um Glaubensfragen, sondern auch um den Fortbestand der Kirche als Organisation: Wenn die kirchliche Traumhochzeit auf der Insel Sylt jedem offen steht, könnte sich manches Kirchenmitglied irgendwann die Frage stellen, warum es Monat für Monat Kirchensteuer zahlt. Für solche Überlegungen, die man in der Unternehmenswelt „Membership pricing“ nennen würde, müsste ein marktwirtschaftlich orientierter FDP-Politiker wie Christian Lindner eigentlich Verständnis aufbringen.