Frühere Chemtrail-Anhängerin : Das Muster der Verschwörung
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Trotzdem kündigte sie irgendwann ihren Job als Supermarkt-Kassiererin – an einen verbrecherischen Staat wollte sie keine Steuern zahlen. Auch die Widersprüche in der Theorie hinterfragte sie nicht: Die versprühten Gifte sollten mal den Klimawandel bremsen, aber ungewollte Folgen haben, mal die Gedanken der Menschen steuern oder sie schwul und lesbisch machen – die Anhänger der Chemtrail-Theorie sind sich da nicht ganz einig.
Sind die „Chemmies“ also bloß harmlose Spinner? Keinesfalls, sagt Holm Gero Hümmler, Mitglied bei den Skeptikern, der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften. Über die Chemtrail-Bewegung hätten rechtsradikale Verschwörungstheoretiker versucht, die Umwelt- und Friedensbewegung an die rechte Szene zu binden.
Gefahren durch Chemtrails und Flüchtlinge?
Wie erfolgreich das war, zeigen die sogenannten Friedensdemos montags vor dem Reichstag in Berlin, wo Reichsbürger gemeinsam mit Chemtrail-Gläubigen protestieren. Einige Hauptfiguren der Chemtrail-Szene verknüpfen diese Ideologien konsequent. Werner Altnickel, ehemals bei Greenpeace aktiv, glaubt etwa, die Deutschen würden gleichzeitig mit Chemtrails vergiftet und von Flüchtlingen überrannt. Er warnt vor einer „Vernichtung der weißen Rasse“ und verbreitet auf Youtube, Juden hätten nach dem Zweiten Weltkrieg in eigens errichteten Konzentrationslagern hunderttausend Kinder ermordet.
Christoph Hörstel, ehemaliger ARD-Korrespondent in Nahost, wirbt für seine rechte Kleinstpartei „Deutsche Mitte“ mit den Worten: „Wer ,Verschwörungstheoretiker‘ beschimpft, ist Kartell-Komplize!“ Er macht Stimmung gegen Israel – und sprach auf Montagsdemos in Potsdam über die Gefahren durch Chemtrails.
Tatsächlich führt eine Verschwörungstheorie schnell zur nächsten. Stephanie Wittschier klickte sich von Kritik am Saatgutkonzern Monsanto auf Seiten, in denen über genmanipuliertes Gift im Essen spekuliert wurde. Aspartam, Hefeextrakte, Konservierungsstoffe galten ihr bald als tödlich, sie räumte die Vorratskammer leer, schmiss alles in den Müll. Während sie sich diversen Verschwörungen bis dahin nur auf der Straße ausgeliefert gefühlt hatte, begleitete die Angst sie jetzt bis nach Hause. Die Folgen: Panikattacken und Selbstmordgedanken.
Wenn jemand in ihren Zeiten als Verschwörungstheoretikerin aus einem der Foren verschwand, hieß es manchmal: Der sei in die Psychiatrie eingewiesen worden, um mundtot gemacht zu werden. Manche, die tatsächlich in psychiatrische Behandlung kamen, wurden in den Foren aufgefordert, ihre Medizin nicht zu nehmen. „Die Leute denken, dass seien Gehirnwäsche-Pillen, die dich wieder zum Sklaven der Elite machen.“ Heute weiß Wittschier: „Die Szene macht einen psychisch krank.“