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Interview mit Bürgermeister : „Wackens Fahnen sind auf halbmast“

Allein in Wacken: Axel Kunkel, Jahrgang 1961, ist seit fast 21 Jahren Bürgermeister des holsteinischen Dorfs, das wegen seines Metal-Festivals berühmt ist. Bild: Daniel Pilar

An diesem Wochenende hätte das Heavy-Metal-Festival in Wacken stattgefunden. Bürgermeister Axel Kunkel über die Absage, die Folgen der Corona-Krise für das holsteinische Dorf – und wie es sich in den vergangenen 30 Jahren verändert hat.

          3 Min.

          Herr Kunkel, was machen Sie an diesem Wochenende?

          Peter Badenhop
          Redakteur in der Rhein-Main-Zeitung.

          Gute Frage. Das ist ja absolutes Neuland für uns alle. Das haben wir noch nie erlebt, dass wir am ersten August-Wochenende nichts vorhaben. Also, wenn das Wetter schön ist, fahren wir vielleicht mal an den Strand. Und wenn es nicht so gut wird, dann treffen meine Frau und ich uns mit Freunden im „Wacken Café“. Die sind ja sonst auch auf dem Festival und haben dieses Jahr frei. Aber eine große Party oder so wird es nicht geben.

          Was machen Sie normalerweise während des Festivals?

          Da sind wir vier Tage lang auf dem Gelände, die Einwohner von Wacken haben ja immer freien Eintritt. Ich mache ein bisschen früher Feierabend, und dann gucken wir zum Beispiel, was im Schwimmbad los ist. Mittwochs gibt es abends außerdem immer ein Konzert in der Kirche, da gehen wir auch hin. Das ist manchmal ganz schön laut, aber eigentlich immer gut.

          Sind Sie inzwischen auch Metal-Fan? Oder waren Sie das schon vorher?

          Nee, das war ich nicht. Aber zum Teil finde ich einige der Gruppen mittlerweile richtig gut, Subway to Sally, Sabaton oder Nightwish beispielsweise. Die suchen wir uns vorher genau raus und gucken uns die an. Andere Bands machen ja wirklich nur Krach. Na ja, und das geht vielen im Dorf so: Die haben durch das Festival Zugang zu dieser Musik bekommen und gehen jedes Jahr gezielt zu Gruppen, die sie sehen wollen. Und auf den kleinen Bühnen kann man immer was Neues entdecken.

          Schauen Sie sich „Wacken World Wide“ an, das virtuelle Festival, das in diesem Jahr online läuft?

          Nee, mich vor den PC setzen und irgendwas hören, das mache ich nicht. Da warten wir lieber auf das nächste Jahr und hoffen, dass alle wiederkommen.

          Glauben Sie, dass in einem Jahr alles wieder ganz normal läuft?

          Ich fürchte nicht. Ich glaube, dass es Einschränkungen geben wird, vielleicht auch von der Teilnehmerzahl her. Ein normales Festival kann ich mir nicht vorstellen. Wir hätten zwar die Flächen, um das Zelten mit größeren Abständen zu ermöglichen. Aber wie soll man das mit den Konzerten machen? Man kann ja schlecht Markierungen auf den Boden sprühen oder Flatterband spannen oder den Platz bestuhlen. Das haut nicht hin.

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          Und wenn in diesem Jahr trotz aller Warnungen Fans nach Wacken kommen, was machen Sie dann?

          Wir wissen von einigen, die wie immer eine Ferienwohnung gebucht haben. Das sind vielleicht 200 Leute, die können gerne kommen. Aber wir haben uns mit Ordnungsamt, Polizei und Veranstalter zusammengesetzt und beschlossen, dass wir wildes Zelten und Partys nicht dulden werden. Wir haben Zäune aufgestellt, es wird Patrouillen geben, und die Polizei wird eingreifen, wenn da welche auftauchen.

          Fehlt den Wackenern das Spektakel? Oder sind manche auch froh, dass es in diesem Jahr endlich einmal ruhig ist?

          Ich habe von einer Frau gehört, die sich freut, dass es ausfällt. Allen anderen fehlt das Festival, die Betriebsamkeit, der Trubel und die vielen Nationalitäten, die sich hier bei uns treffen. Einige haben ihre Wacken-Fahnen in diesem Jahr auf halbmast gehisst. Wir werden das überleben, aber es ist schon schade.

          Welche Bedeutung hat das Festival für das Dorf Wacken?

          Es gehört inzwischen einfach dazu. Und es ist auch ein großer wirtschaftlicher Faktor. Die Absage ist für die Veranstalter am schlimmsten, aber es betrifft auch noch andere Firmen und uns als Gemeinde. Uns fehlt richtig viel an Gewerbesteuer.

          Wissen Sie schon, an welcher Stelle Sie sparen können? Müssen Sie womöglich das Schwimmbad schließen?

          Nein, das steht nicht zur Disposition. Auf gar keinen Fall. Wir lassen uns schon etwas einfallen.

          Und die vielen Anwohner, die zu Festivalzeiten Bier- und Grillbuden in ihren Vorgärten aufstellen und Zimmer vermieten?

          Die verkraften das am leichtesten. Das Vermieten und Verkaufen war für die ja im Grunde nur „nice to have“, nette zusätzliche Einnahmen, die jetzt wegfallen. Aber daran geht keiner kaputt.

          Gibt es im Dorf überhaupt noch Festival-Gegner?

          Nein, offene Gegner gibt es nicht mehr. Es gibt natürlich Leute, sagen wir mal so, die nicht zwingend dafür sind. Aber es gibt niemanden, der zu einer Gemeinderatssitzung kommt und sagt: Wir sollten das abschaffen. Das war am Anfang anders. Aber es war für uns alle auch sehr ungewohnt, als diese schwarzen Metal-Fans kamen: Die waren tätowiert und gepierct und haben rumgegrölt. Der Müll war am Anfang auch ein Problem. Aber das haben wir ziemlich schnell in den Griff gekriegt.

          Und es geht bemerkenswert friedlich und gesittet zu.

          Die Metal-Fans machen keinen Stress. Was uns seit ein paar Jahren ein Dorn im Auge ist, sind die Festival-Touristen, die keine Karten haben, gar keine W.O.A.-Fans sind und über unsere Hauptstraße laufen. Die machen Dreck und Ärger und benehmen sich nicht ordentlich. Das ist mitunter wie im Zoo: Die kommen nur, um die Metal-Fans zu begaffen. Das sind nach unseren Schätzungen inzwischen bis zu 25000 Leute, aber die bekommen wir leider nicht aus dem Dorf raus. Wir dürfen die Hauptstraße nicht für Besucher sperren, da haben wir keine Handhabe.

          Wie hat sich Wacken in den vergangenen 30 Jahren, seit es das Open Air gibt, verändert?

          Zum einen ist es größer geworden: Damals hatten wir 1300 Einwohner, jetzt sind es 2000 – aber das hat nichts mit dem Festival zu tun. Und dann ist natürlich inzwischen überall die schwarze Handschrift der Veranstalter zu sehen und zu spüren. Die tun sehr viel für das Dorf, im Schwimmbad, im Kindergarten, in der Schule, sie unterstützen die Vereine und die Jugendarbeit. Auf der anderen Seite bieten wir als Gemeinde die Verlässlichkeit, die sie brauchen. Das ist eine echte Win-win-Situation – und darum hoffen wir, dass es im nächsten Jahr weitergeht.

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