Rassismus-Debatte : Die späte Befreiung des Onkel Ben
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Die Fliege hat er abgelegt, das historische Erbe nicht: Uncle Ben Bild: Getty
Die „Black Lives Matter“-Bewegung hinterlässt auch im Supermarkt Spuren. Die berühmte Reismarke „Uncle Ben’s“ dürfte bald verschwinden. Sollte man das bedauern?
Vertrauen zu schaffen für eine Marke, das gelingt am ehesten mit denen, die dahinterstehen. Bei den „Vegetarischen Mühlen Frikadellen“ der Rügenwalder Mühle zum Beispiel wird das direkt auf der Verpackung mitgeteilt: Ganz oben rechts neben dem Satz „Da weiß man, wer’s macht“ lächeln uns hier zwei Menschen entgegen, nämlich „Katharina Bock, Produktion“ und „Jan-Geert Schüdzig, Verpackung“. Wenn wir die Fladen auf Weizen-Basis auspacken, werden wir nun vielleicht an Jan-Geert Schüdzig denken, wenn wir sie in die Pfanne werfen, an Katharina Bock – doch ohne beiden zu nahetreten zu wollen: Echte Werbe-Ikonen werden sie vermutlich nicht werden.
Ganz anders sieht es bei einem Herrn aus, den die Ältesten unter uns seit 1946 kennen könnten und heute schier die ganze Welt. Sein freundliches Gesicht mit den buschigen Brauen und dem weißen Haarkranz ziert seit mehr als siebzig Jahren die Packungen eines Unternehmens, das so heißt wie vermeintlich auch der Herr selbst: „Uncle Ben’s“ hat es nicht nur in Deutschland und seiner Heimat Amerika geschafft, zum Synonym für Reis zu werden, wie es für „Tempo“ bei Taschentüchern und für „Nivea“ bei Handcreme gilt.
Dabei hat dieser Ben, von dem wir nur einen Verwandtschaftsgrad, aber keinen Nachnamen kennen, weder die Produktion des Reises zu verantworten noch dessen Verpackung. Uncle Ben ist weder der Chef noch überhaupt irgendein Mitarbeiter von „Uncle Ben’s“, sondern eine Phantasiegestalt. Dass diese nun verschwinden soll, ist dennoch ein Einschnitt, der von einer Firma verkraftet sein will. „Uncle Ben’s“ nämlich dürfte dann nicht nur ihr Gesicht verlieren, sondern auch ihren Namen.
Der richtige Zeitpunkt
Hintergrund ist die zuletzt nach der Tötung George Floyds durch einen Polizisten und die darauf folgenden Demonstrationen und Unruhen erhöhte Sensibilität in den Vereinigten Staaten gegenüber rassistischen Stereotypen. Der Mars-Konzern, dem „Uncle Ben’s“ gehört, hat in einer Erklärung bekanntgegeben: „Als globale Marke wissen wir, dass wir die Verantwortung haben, Stellung zu beziehen, um dazu beizutragen, rassistischen Vorurteilen und Ungerechtigkeiten ein Ende zu setzen. Wenn wir auf die Stimmen der Verbraucher, insbesondere in der Black Community, und auf die Stimmen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit hören, sehen wir, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, die Marke Uncle Ben’s, einschließlich ihrer visuellen Markenidentität, weiterzuentwickeln, was wir auch tun werden.“ Man wisse noch nicht, wie „die genauen Änderungen oder der Zeitplan aussehen werden, aber wir evaluieren alle Möglichkeiten“, heißt es weiter. Zu diesem offiziellen Statement, teilt Stefanie Kawalek mit, Sprecherin für die Lebensmittelsparte bei Mars Deutschland, gebe es derzeit leider keine weiteren Ergänzungen.
Dabei stellen sich viele Fragen, auch in Deutschland. In den sozialen Medien drücken Kommentatoren Unverständnis, ja Bestürzung aus. Was, so der Tenor, hat der arme alte Mann nur verbrochen, dass man ihn nun der aufgebrachten Menge opfert? Und auf den ersten Blick wirkt der gute Onkel ja tatsächlich wie einer jener weisen und gütigen Patriarchen, wie sie die Reklame auch mit dem „Werthers Echte“-Opa oder „Käpt’n Iglo“ präsentiert und wie sie im Kino häufig Morgan Freeman gespielt hat.
Nostalgie mag eine Rolle spielen: Für manches Kind der Bundesrepublik der sechziger oder siebziger Jahre dürfte das Bildnis auf der Packung Reis, die die Mutter zubereitete (Väter kochten damals eher selten), der erste Schwarze gewesen sein, den es in seinem Leben erblickt hat. Und die tiefe, volle Stimme, die mit amerikanischem Akzent in der Fernsehwerbung den locker von der Gabel purzelnden Reis pries, ließ es den allerersten Hauch Südstaatenherrlichkeit verspüren.