Vom Kampflied zum Popsong : Wie „Bella Ciao“ zum Sommerhit wurde
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Ein bisschen Widerstand mit House-Beats: Cover des „Bella Ciao“-Remix’ des französischen DJs Hugel Bild: dpa
Sommerhits handeln normalerweise von seichten Themen. In diesem Jahr aber singen alle ein ehemaliges Partisanenlied. Wie kam es dazu?
Normalerweise haben Sommerhits eine eingängige Melodie, sind leicht mitzusingen und behandeln Dinge, die thematisch so dünn sind wie ein Strandkleidchen. Da in diesem Jahr so wenig „normal“ ist, scheint es nur logisch, dass auch der Sommerhit eine Ausnahme ist: „Bella Ciao“ habe „Despacito“ aus dem vergangenen Jahr beerbt, teilte GfK Entertainment mit. Das Unternehmen ermittelt die Offiziellen Deutschen Charts im Auftrag des Bundesverbandes Musikindustrie. Der Sommerhit 2018 ist also ein altes Partisanenlied aus Italien, das im Kampf gegen die italienischen Faschisten und die deutschen Nazis gesungen wurde – und erfüllt damit schon einmal nicht das Kriterium der thematischen Seichtheit.
„Oh Partisan, bring mich fort, denn ich fühle, dass ich bald sterben werde“, heißt es dort schon in der zweiten Strophe. So morbide geht es weiter, denn die geliebte Schöne, die mit jedem „Bella, ciao!“ angerufen wird, soll den Partisanenkämpfer unter schönen Blumen in den Bergen begraben, wenn er im Kampf für die Freiheit fällt.
Wie also wird aus einem Lied, das im vergangenen Jahrhundert zunächst von den Partisanen, dann von der Arbeiterbewegung und linken Organisationen auf Demonstrationen gesungen wurde, plötzlich ein Sommerhit? Der Grund dafür ist Netflix. Dort läuft die international beliebte spanische TV-Serie „Haus des Geldes“ (Originaltitel: La casa de papel), in der das Lied eine große Rolle spielt. Neun Räuber überfallen darin die spanische Banknotendruckerei. “Bella Ciao“ kommt dabei immer wieder vor. Netflix hat es sogar als Soundtrack für den deutschen Trailer verwendet.
Ein Partisanenlied zum Raubüberfall? Unbedingt, dachten sich die Macher der Serie, und ließen den Charakter El Profesor das Lied in einer Schlüsselszene anstimmen. Er ist der Kopf hinter dem Überfall und hat die Partisanenhymne schon von seinem Großvater vorgesungen bekommen. Denn dieser kämpfte im Zweiten Weltkrieg in Italien gegen die Faschisten. Und natürlich sieht sich auch der Bankräuber als eine Art Widerstandskämpfer gegen das System und hofft darauf, dass man die Räuber am Ende als Helden in Robin-Hood-Tradition feiern wird.
Und weil die Geschichte gut und die Melodie sehr eingängig war, nahmen gleich mehrere Musiker Remixe auf. Da war zunächst der französische Dj Hugel, der für seine House-Version noch den Gesang aus der Serie verwendete. Sein Video spielt den Banküberfall als hypercoole Variante nach.
Auch der deutsche DJ Mike Singer stellt im Musikvideo zu seiner „Bella-Ciao“-Variante einen Raub nach, überdreht die Idee jedoch komplett ins Dekadente: Die Beute befindet sich in einer Designertasche, Geldscheine fliegen durch die Luft, die Räuber chillen am Pool. Die Melodie durchsetzen Latino-Rhythmen, der Text des Partisanenliedes ist bis auf das „Bella Ciao“ komplett zu einer knallharten Gangstergeschichte umgedichtet. Liebe ist hier gegen Geld und Freiheit gegen Kapitalismus getauscht.
Dass das Lied aber trotz weichgespülter Pop-Versionen noch nicht all seine Kampfkraft verloren hat, zeigt ein Vorfall in Italien. Dort wollte im Juni Innenminister Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega Nord von Rom ins süditalienische Brindisi fliegen. Im Bus zum Flieger stimmten dann aber die Passagiere aus Protest gegen die Politik Salvinis – er forderte unter anderem die Rassentrennung in Eisenbahnwagen oder die Registrierung von Roma-Angehörigen – das alte antifaschistische Partisanenlied an, mit dem Originaltext. Ein echter Sommerhit.