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Zitiergebot nicht beachtet : ADAC: Neue Fahrverbote unwirksam

  • -Aktualisiert am

Neue Verkehrsregeln etwa zur Verschärfung von Fahrverboten sind nach Einschätzung des ADAC aus rechtlichen Gründen unwirksam. Bild: dpa

Neue Verkehrsregeln sehen Fahrverbote schon ab Überschreitungen von 21 Kilometern in der Stunde vor. Doch die verschärften Regeln sind nach Einschätzung des ADAC unwirksam. Das hat rechtliche Gründe.

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          Nach Einschätzung des Automobilclubs ADAC sind die mit der jüngsten Reform der Straßenverkehrsordnung (StVO) deutlich verschärften Fahrverbote juristisch unwirksam. Seit Inkrafttreten der Neuregelung können Fahrverbote bereits bei einmaligen Geschwindigkeitsüberschreitungen um 21 (statt zuvor 31) beziehungsweise außerorts 26 (statt zuvor 41) Kilometern in der Stunde angeordnet werden; auch beim rechtswidrigen Befahren des Standstreifens, beim Nichtbilden einer Rettungsgasse und bei riskanten Abbiegemanövern droht seitdem der Führerscheinentzug.

          Diese Regelungen bilden nur einen kleinen Teil der gesamten Reform – aber politisch den wohl umstrittensten. Im ursprünglichen Entwurf des Bundesverkehrsministeriums waren sie nicht enthalten, wurden aber nachträglich auf Drängen des Bundesrats eingefügt. „Dabei wurde allerdings vergessen, auch die Präambel der Änderungsverordnung entsprechend anzupassen“, sagt Markus Schäpe, Leiter der Rechtsabteilung des ADAC.

          Reform per Verordnung, nicht per Gesetz

          Die StVO-Reform fand per Verordnung, nicht per Gesetz statt, also ohne Befassung des Parlaments. Das ist üblich, um eine Feinjustierung von Vorschriften „im laufenden Betrieb“ zu ermöglichen, ohne für jede Änderung das parlamentarische Verfahren beschreiten zu müssen. Es setzt allerdings voraus, dass für Änderungen an dem betreffenden Gesetz eine „Verordnungsermächtigung“ besteht, aus der sich ergibt, welche Teile des Gesetzes später durch welche Stellen im Verordnungsweg geändert werden dürfen. Eine solche Verordnungsermächtigung gibt es für die StVO auch, und sie erstreckt sich auch auf die Schwellenwerte zur Verhängung von Fahrverboten – an sich ist die Reform also von den Kompetenzen von Verkehrsministerium und Bundesrat gedeckt.

          Allerdings muss eine Verordnung die Verordnungsermächtigung, auf die sie sich stützt, auch ausdrücklich benennen („Zitiergebot“). In der Präambel der jüngsten Reform fehlt der Verweis auf denjenigen Teil der Verordnungsermächtigung, der die Änderung der Schwellenwerte für Fahrverbote erlaubt. Schäpe erklärt sich das mit Abstimmungsschwierigkeiten zwischen Verkehrsministerium und Bundesrat: In der Ursprungsfassung der Reform sei es noch nicht nötig gewesen, die Ermächtigung zur Änderung der Fahrverbotsschwellenwerte zu zitieren, weil diese Änderung ja gar nicht vorgesehen war. Als sie später aufgenommen wurde, sei das Zitiergebot wohl schlicht vergessen worden.

          Scheuer hält Fahrverbortsregeln für zu streng

          Eigentlich also eine Petitesse – aber mit gravierenden Folgen. Der Verkehrsrechtsanwalt Jens Dötsch hält es sogar für vorstellbar, dass deshalb die gesamte Reform unwirksam ist. Dafür gäbe es ein historisches Vorbild: Schon 2010 hatte der damalige Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) auf einer Pressekonferenz nach Erlass der „Schilderwaldnovelle“ erklären müssen: „Die Novelle ist wegen eines Verstoßes gegen das verfassungsrechtlich verankerte Zitiergebot nichtig.“ Ob das wirklich für die gesamte Novelle, nur für einzelne Teile oder womöglich überhaupt nicht zuträfe, blieb juristisch umstritten. Bis zur Verabschiedung eines von Ramsauer angekündigten „schnellstmöglichen“ Änderungsentwurfs vergingen seinerzeit drei Jahre, in denen noch zahlreiche andere politische Begehrlichkeiten in den Abstimmungsprozess einflossen.

          So könnte es auch in diesem Fall gehen: Verkehrsminister Andreas Scheuer tat ohnehin kund, dass er die neuen Fahrverbotsregeln für zu streng hält. In einem Schreiben, das dieser Zeitung vorliegt, spricht er von einer „Unwucht, die es zu korrigieren gilt“, und bittet die Verkehrsminister der Länder, „inständig, an der Wiederherstellung eines systemkonformen Zustandes mitzuwirken“. Wenn die Einschätzung des ADAC zutrifft, dass ausgerechnet dieser Teil der Reform aufgrund eines Redaktionsversehens seines Hauses unwirksam ist, könnte das den Reformeifer des Ministers bremsen. Vom Bundesverkehrsministerium war hierzu keine Stellungnahme zu erlangen.

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