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Abiturnote 1,1 : Fast super

Schüler feiern in Frankfurt das Ende der schriftlichen Abiturprüfungen: Ob die Freude auch am Tag, als die Noten kamen, noch genauso groß war? Bild: dpa

Die Abiturnote 1,0 ist perfekt. Wer sie knapp verfehlt, bekommt eine 1,1 – die tragischste gute Note. Was die Betroffenen dazu sagen.

          6 Min.

          Über Abiturienten mit der Note 1,1 werden eigentlich keine Zeitungsartikel geschrieben. Die 1,1 wirkt wie eine leicht beschädigte 1,0. Sehr gut, aber nicht perfekt. Über Abiturienten mit perfekten Noten werden viele Artikel geschrieben. Sie heißen „Der Super-Abiturient“, „König der Überflieger“ oder „Nobelpreis soll folgen“. Die 1,1 besagt, dass einer die Perfektion knapp verpasst hat. Knapper als jeder andere. Darüber kann man lachen, wenn man Noten nicht so wichtig findet. Aber dass man sich über knapp Verpasstes mehr ärgert als über eh längst Abgehaktes, weiß jeder, dem schon einmal ein Zug vor der Nase weggefahren ist. Die 1,1 ist vor dem Komma die beste Note und nach dem Komma die schlimmste. Wie denken die darüber, die ihr Abitur mit dieser Note bestanden haben?

          Friederike Haupt
          Politische Korrespondentin in Berlin.

          Alle, mit denen wir darüber reden, erinnern sich noch genau, wie viele Punkte ihnen zur glatten Eins fehlten, egal, ob sie erst vor ein paar Monaten Abitur gemacht haben oder vor neun Jahren. Manche kommen direkt darauf zu sprechen, als sie in der E-Mail-Anfrage lesen, dass es um die Abiturnote 1,1 gehen soll. Einer schreibt: „Ich habe mein Abitur im Jahre 2009 abgelegt mit Note 1,1 (fünf Punkte von 1,0 entfernt beziehungsweise mit Nachprüfung wäre es eventuell sogar nur ein Punkt gewesen).“ Eine andere: „Mir hat ein Punkt gefehlt zur 1,0. Inzwischen bin ich darüber hinweg :-).“ Ihr Abitur ist fünf Jahre her. Mit den Punkten sind die Notenpunkte gemeint, die die Schüler in der Oberstufe und in den Abiprüfungen sammeln. 900 sind möglich, ab 823 gibt es eine glatte Eins. Eine 1,1 bekommen alle, die zwischen 805 und 822 Punkten schaffen. Weil diese Korridore unterschiedlich breit sind, gab es zuletzt mehr Abiturienten mit der Bestnote 1,0 als mit der Zweitbestnote 1,1. Umso schlimmer für die mit 1,1.

          Das Umfeld versteht die Enttäuschung oft nicht

          Mareike machte ihr Abi vor vier Jahren in Baden-Württemberg. „Die Einsnull war definitiv mein Ziel.“ Sie hatte es sich selbst gesteckt. Ihre Eltern haben nur den Hauptschulabschluss, auch ihr Bruder. Mareike aber schrieb eine Eins nach der anderen. Auch mal Zweien. Eine Drei nie. Mit 14 oder 15 beschloss sie, Medizin zu studieren. Das ergab sich für sie aus den Noten und dem Wunsch, gesellschaftliche Anerkennung zu bekommen. Als sie in die Oberstufe kam und wusste, dass ab jetzt die Punkte fürs Abi zählten, legte sie mit ihrem Freund eine Excel-Tabelle an. Dort trug sie alle Notenpunkte ein und zählte zusammen. „Ich wusste, ab 823 ist’s die Einsnull.“ Der Freund hatte schon Abitur: Einsnull. Es hatte ihm keine Mühe gemacht. Bei Mareike schien es möglich, aber nicht selbstverständlich. Sie hatte ausgerechnet, dass sie in jeder Abiturprüfung mindestens 13 Punkte brauchte, also eine Eins minus. Sie paukte.

          Leistungsdruck am Schultisch: „Ich werde künftig meine Prioritäten anders setzen, damit es das nächste Mal besser läuft.“
          Leistungsdruck am Schultisch: „Ich werde künftig meine Prioritäten anders setzen, damit es das nächste Mal besser läuft.“ : Bild: dpa

          Dann musste sie in der Deutschklausur ein Gedicht interpretieren: „Das hat mir nicht so gelegen.“ Pech, könnte man sagen. Mareike schaffte zwölf Punkte. „Ich bin heim und habe geheult.“ Sie verglich sich mit ihrem Freund, der viel entspannter gewesen war und die Traumnote quasi im Vorbeigehen mitgenommen hatte. Das war demütigend. Auch vor anderen fühlte Mareike sich als Verliererin. Zwei Mitschüler, die glatte Einsen geschafft hatten, mied sie „wie die Pest“. Außerdem befürchtete sie, nicht sofort den Studienplatz zu bekommen, den sie sich wünschte. Ihre Eltern verstanden die Enttäuschung nicht. Für sie war eine Eins eine Eins. Ein Freund wollte Mareike trösten, er sagte: „Ich finde 1,1 die beste Note. Man ist nicht der Totalstreber, aber hat noch ein sehr gutes Abitur.“ Der Freund hatte 1,3. Mareike blieb traurig.

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