„Nackt unter Wölfen“ : Sieg der Menschlichkeit
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Trennungslinie der ost- und westdeutschen Erinnerungskultur: Szene aus „Nackt unter Wölfen“, der Neuverfilmung einer Geschichte über das KZ Buchenwald und ein Kind, das gerettet wird. Bild: MDR/UFA FICTION
„Nackt unter Wölfen“ war als Roman und Film ein Bestseller in der DDR. Jetzt wurde die Geschichte des antifaschistischen Widerstandes im KZ Buchenwald neu verfilmt – und entmystifiziert.
Eine Neuverfilmung von „Nackt unter Wölfen?“ Noch dazu mit völlig verändertem Schluss? Unerhört! Nicht mal mehr davor machen sie im Westen Halt! Das, sagen am Film Beteiligte, hätten sie sich schon mal anhören müssen, seit im vergangenen Jahr die Dreharbeiten öffentlich wurden. Die Geschichte um die Rettung eines jüdischen Kindes und die Befreiung des Lagers durch kommunistische Häftlinge war eine Art literarischer Gründungsmythos der DDR. Der Vorwurf oder Verdacht der Geschichtsnachbesserung aber zielt ins Leere, nicht zuletzt auch, weil entscheidende Positionen des Projekts mit gelernten DDR-Bürgern besetzt sind.
Das Drehbuch schrieb Stefan Kolditz, Sohn eines DEFA-Regisseurs und ein erfahrener Autor, der schon das Skript für den Mehrteiler „Unsere Mütter, unser Väter“ verfasste. Für die Neubefassung mit dem Stoff zeichnet die Historikerin Susanne Hantke verantwortlich, aufgewachsen in Karl-Marx-Stadt. Sie war Mitte der achtziger Jahre in der neunten Klasse, als „Nackt unter Wölfen“ im Deutsch-Lehrplan stand, und sie besuchte zur Vorbereitung auf die Jugendweihe auch das einstige Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar, so wie die meisten Schüler in der DDR.
„Unsere erste Jugendstunde verlebten wir in der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald“, schrieb Hantke anschließend in ihrem Schulaufsatz. „Viele Dinge sahen wir dort, die uns zum Nachdenken, zum Mahnen und zum Handeln anregten. Besonders beeindruckt hat mich der ‚Caracho-Weg’ und der Appellplatz. ... Jeder Besucher dieser Stätte des faschistischen Grauens sollte sich dem Schwur von Buchenwald anschließen!“ Ihre Zeilen, so sagt sie heute selbst, spiegeln weniger die wirklichen Gefühle einer Vierzehnjährigen als vielmehr die vermeintlichen Erwartungen der Lehrer wider, die den Auftrag hatten, die Jugend im antifaschistischen Geist zu erziehen.
Der Schriftsteller Bruno Apitz schien dafür mit „Nackt unter Wölfen“ das perfekte Buch geschrieben zu haben – unverhofft, wie man heute weiß. Sowohl die DEFA als auch der Schriftstellerverband lehnten sein Vorhaben 1955 ab, auch die SED beauftragte ihn nicht, lediglich der Mitteldeutsche Verlag in Halle gab dem Autor eine Chance.
Zehn Prozent der Häftlinge waren mit Verwaltung beschäftigt
Apitz, der selbst acht Jahre in Buchenwald verbringen musste, verarbeitet in dem Buch seine Erlebnisse während der Haft und verdichtet sie auf die Wochen vor der Befreiung des Lagers im April 1945, als in Buchenwald immer mehr Häftlinge aus den geräumten KZs im Osten eintreffen und das Lager mit 50.000 Insassen völlig überfüllt ist. In einem Koffer schmuggelt ein polnischer Jude einen drei Jahre alten Jungen ein, den sogenannte Funktionshäftlinge daraufhin verstecken.
Die SS hat die Organisation Buchenwalds weitgehend in die Hände überwiegend deutscher Häftlinge gelegt, auch um eigene Ressourcen zu schonen. Bis zu zehn Prozent der Insassen sind so mit Aufsicht, Kontrolle und Verwaltung des Lagers beschäftigt, als Gegenleistung können sie von der vernichtenden Arbeit im Steinbruch verschont bleiben sowie gute Schlafplätze oder mehr Essen erhalten.
Zunächst bekleiden die mit grünem Winkel gekennzeichneten „Berufsverbrecher“ diese Funktionen. Nach und nach gelingt es jedoch politischen Häftlingen, die mit einem roten Winkel auf der Brusttasche versehen sind, diese Posten zu übernehmen. Für die SS sind die Kommunisten zuverlässiger, haben sie doch meist handfeste Berufe, und sie wissen, wie man Menschengruppen organisiert und diszipliniert. Bis 1943 haben sie alle wesentlichen Posten in ihren Händen und bauen eine internationale Widerstandsorganisation unter deutscher Führung auf, die das Lager befreien soll.
Das Auftauchen des Jungen so kurz vor dem Aufstand sehen führende Widerständler als große Gefahr nicht nur für ihr Leben, sondern für die gesamte illegale Bewegung, nach deren Köpfen die SS bereits fahndet; sie beschließen deshalb, das Kind auf den nächsten Transport nach Bergen-Belsen zu geben, was seinen sicheren Tod bedeutet. Mehrere Häftlinge geraten dadurch in einen moralischen Konflikt und widersetzen sich dem Befehl der kommunistischen Führer: „Wenn wir den Jungen opfern, opfern wir alles.“