Lebensborn-Kinder : Ein Brief vom fremden, toten Vater
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Auf der Suche nach seiner Herkunft: Lebensborn-Kind Peter Meier. Bild: Kretzer, Michael
Sie wuchsen in Heimen der SS auf statt bei ihren Eltern, und den meisten „Lebensborn“-Kindern ist ihre Herkunft bis heute ein Rätsel. Doch seit alte Dokumente aufgetaucht sind, wühlen einige in ihrer Vergangenheit.
Peter Meier war 75, als er zum ersten Mal einen handfesten Beweis seiner Herkunft in Händen hielt. Am 9. Juli brachte der Postbote einen schlichten Briefumschlag zur Wohnung des Pensionärs in einer rheinland-pfälzischen Kleinstadt. Darin ein rotes Heftchen mit dem Schriftzug „Sparkasse der Hauptstadt der Bewegung“ auf dem Einband. Und darunter ein Hakenkreuz.
73 Jahre zuvor hatte ein österreichischer Hauptmann der Wehrmacht das Sparbuch mit der Nummer 116697/H in München angelegt. Am 26. September 1940 zahlte er die ersten zwanzig Reichsmark ein. Es war ein Konto für seinen unehelichen Sohn, dessen Erziehung er dem SS-Verein „Lebensborn“ überlassen hatte. Der Sohn soll in dieser Geschichte Peter Meier heißen.
Seinen richtigen Namen möchte der 75 Jahre alte Mann nicht in der Zeitung lesen. Denn um die von der Schutzstaffel der NSDAP geführten Kinderheime ranken sich groteske Mythen. Von „Begattungsheimen“ und „Menschenzucht“ ist dann die Rede, der Historiker Joachim Fest bezeichnete den Lebensborn sogar einmal als „staatliche Bordellorganisation“.
Die Realität, das haben Wissenschaftler längst nachgewiesen, sah deutlich nüchterner aus: In den Heimen konnten Eltern und Alleinerziehende ihre Kinder zur Welt bringen und abgeben, während der NS-Staat den Nachwuchs ganz in seinem Sinne erziehen konnte. Bis zu 12 000 Heranwachsende lebten insgesamt zwischen 1936 und 1945 in Lebensborn-Heimen, ein Großteil von ihnen war unehelich geboren - und daher unerwünscht.
Die SS legte Sparbücher für die Kinder an
Um diesen Kindern auch ohne Eltern ein Auskommen zu sichern, legte die SS Sparbücher für sie an. Einzahlen mussten die Väter. Laut dem Historiker Volker Koop forderte der Verein in der Regel zehn Reichsmark im Monat, um später den Unterhalt, die Ausbildung oder die Aussteuer sicherzustellen. So kauften sich deutsche Väter von den Pflichten gegenüber ihren Kindern frei, die dann meist bei linientreuen Pflegeeltern oder in einem der 22 europaweit betriebenen Lebensborn-Heime aufwuchsen.
Vor eineinhalb Jahren tauchten mehr als 400 dieser Sparbücher zufällig wieder auf, der Fund löste eine bundesweite Suchaktion nach den Besitzern aus. Nach Menschen wie Peter Meier. Von der Existenz seines leiblichen Vaters wusste Meier seit dem 30. März 1957, dem Tag seines Auszugs aus dem Elternhaus.
Damals drückte ihm seine Mutter einen Brief mit der Aufschrift „In einer stillen Stunde zu lesen“ in die Hand, aus dem er erfuhr, dass „Vati“ nur sein Stiefvater und er selbst unter SS-Aufsicht herangewachsen war. Erst 1943, im Alter von fünf Jahren, hatte ihn seine Mutter zu sich zurückgeholt. Sie hatte inzwischen einen anderen Mann geheiratet, den Peter Meier künftig „Vati“ nennen sollte. Seinen leiblichen Vater, der 1971 in Wien starb, lernte er nie kennen. Und seine Mutter schwieg zu den Details, wie viele Angehörige von Lebensborn-Kindern.
So begann für Meier die Spurensuche. „Ich bin dann nach Kärnten gefahren, wo meine Großeltern väterlicherseits gelebt haben sollen“, sagt er heute. Hinweise auf seine Herkunft habe er jedoch nicht gefunden, „ich wusste ja auch gar nicht, wo ich suchen musste“. So vergingen Jahrzehnte, in denen Meier das Thema zur Seite schob. Erst nach seiner Pensionierung nahm er die Suche in den neunziger Jahren wieder auf. „Man muss wohl erst alt werden, um sich für seine eigene Herkunft zu interessieren“, so sieht er das heute. „Ich wollte endlich meine eigenen Wurzeln ausgraben, die Neugier hat mich getrieben.“
Nach und nach erfuhr der Pensionär von Suchdiensten, Behörden und Historikern, dass er als Dreijähriger von der norddeutschen Lebensborn-Zweigstelle „Friesland“ in das bayerische Heim „Hochland“ gebracht worden war. Anschließend sollte er bei Pflegeeltern gelebt haben. Jahrelang sammelte Meier Briefe und Fotos aus seiner Kindheit, aber erst mit dem roten Sparkassenbuch im Juli kamen viele Details. Und die Gewissheit.