Jugendwort des Jahres : Läuft nicht bei denen
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Vielstimmig: KC Rebell Bild: Foto Banger Music
Troll-Aktionen und platte Werbeversuche machen die Jugendwort-Wahl zur Farce. Am Ende entschied sich Langenscheidt gegen Schmuddelkram – und für eine Phrase, die schon vor zehn Jahren in aller Munde war.
Zum Schluss ist es ein Kompromiss geworden, der für die Jury vom Langenscheidt-Verlag wohl am unverfänglichsten ist: Das Jugendwort des Jahres sind drei Wörter – „Läuft bei dir“ –, die, fragt man mal rum, genauso vor zehn Jahren schon von damals Jugendlichen benutzt wurden und jetzt vor allem durch ein paar Rapper eine Renaissance durchlaufen. Weil „Läuft bei dir“ so universell einsetzbar ist für „cool“ oder „krass“, für „du hast es drauf“ oder ironisch für „bei dir klappt ja gar nichts“, finden sich vermutlich Jugendliche darin wieder, und doch fehlt der Wahl ein wenig der Swag (Jugendwort 2012, lässig-cool, charismatisch).
Zugegeben, „Läuft bei dir“ ist vermutlich noch das geläufigste „Jugendwort“ der vergangenen Jahre, denn normalerweise sind die jugendlichen Wörter so akademisch verschwurbelt auf vermeintlich jung getrimmt – man wäre geneigt zu sagen, dass in der Jury eine „Gammelfleischparty“ stattfindet (Jugendwort 2008, meint eine Feier für Menschen über 30). Anders sind Einreichungen wie „Immatrikulationshintergrund“ einfach nicht zu erklären.
Selbstbefriedung und Wahlwerbung statt Jugendkultur
Und doch zeigt sich besonders in diesem Jahr die Sinnlosigkeit der Wahl des Langenscheidt-Verlages, war sie in den vergangenen Monaten doch so stark von Manipulationen bestimmt, dass böse Zungen bereits von „Niveaulimbo“ sprechen (Jugendwort 2010). Anfang Oktober erschien auf der amerikanischen Seite 4chan ein Aufruf, doch bitte das Wort „fappieren“ zu wählen. 4chan ist bekannt für Trollaktionen und geschmacklose Bilder, die an der Grenze zur Legalität und manchmal jenseits ihrer liegen. Der Aufruf führte dazu, dass „fappieren“, was für Selbstbefriedung bei Jungen stehen soll, mit fast 50 Prozent der Stimmen auf Platz 1 der Online-Wahl landete. Wählen konnte man anonym und immer wieder. Das geht, weil Langenscheidt bei einer früheren Wahl mal feststellte, dass viel weniger Leute ihre Favoriten wählen, wenn man sich anmelden muss, wie eine Verlagssprecherin dieser Zeitung mitteilte. Was für eine Überraschung!
Trotzdem blieb das Wort in der Vorauswahl, auch mit der Begründung, dass in der Vergangenheit auch für andere Wörter geworben wurde. „Babo“, das Jugendwort des vergangenen Jahres, ist nur durch den Rapper „Haftbefehl“ bekannt geworden, das Wort „Hayvan“ wollte der Rapper KC Rebell vorne sehen, der ein gleichnamiges Lied rausgebracht hatte. In einem Video an seine gut 950.000 Fans bei Facebook bat er um Stimmen. Und selbst für „Läuft bei dir“ gab es Aufrufe aus der Hip-Hop-Szene, das Wort zu wählen. Wahlwerbung statt Jugendkultur. Wohl aus Sorge, dass am Ende ein Troll-Wort das Jugendwort wird, hatte der Verlag eine Jury zwischengeschaltet, die zumindest „fappieren“ flugs eliminierte, mit der Begründung, dass das Wort niemand benutze.
Falsche Facebookseite hatte schnell mehr als drei mal so viele Fans
Dafür wurde der Verlag auf seiner Facebook-Seite attackiert, vor allem von Mitgliedern des Imageboards pr0gramm.com. Diese Seite wurde im Januar von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert, weil man dort pornografische und brutale Fotos findet, „ein nachhaltiger Empathieverlust mit Opfern von Gewalttaten ist zu befürchten“, steht etwa im Prüfbericht. Anmelden kann sich dort nur, wer vorher eine Einladung bekommen hat, wer drin ist, sieht ungefiltert allerhand Fotos, die ganz unjugendlich als Schmuddelkram zu bezeichnen wären.
Doch wer danach sucht, findet auch eine Jugendwort-Kampagne gegen Langenscheidt. Denn Pr0gramm gehört nicht nur zur Trollfraktion pro „fappieren“, sondern betrieb zudem einen bemerkenswerten Aufwand, das Wort „Hayvan“ zu verhindern. Gestört haben sie sich vor allem daran, dass ein türkisches Wort das deutsche Jugendwort des Jahres werden könnte. Um das zu verhindern, verbreiteten die Nutzer der Seite das Gerücht, dass das Wort schwulenfeindlich sei. Sie setzten eine falsche „Jugendwort des Jahres“-Facebookseite auf, die schnell mehr als drei Mal so viele Fans wie die offizielle Seite hatte und veröffentlichten dort Falschmeldungen zur Wahl. Sie schrieben Leserbriefe an Zeitungen (von denen mindestens einer in einer Lokalzeitung gedruckt wurde) und fluteten den Kurznachrichtendienst Twitter mit dem Gerücht. Genützt hat es am Ende nichts. Doch Unruhe haben die Trolle hervorgerufen. Und die Wahl zumindest zeitweilig torpediert. Der Verlag überlegt nun, ob er die Regeln ändert.