Kugelfisch : Zum Sterben lecker
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Kugelfisch: Japans gefährlichste Delikatesse Bild: AP
Feinschmecker in Japan wissen, dass jede falsch zubereitete Kugelfisch-Mahlzeit die letzte sein kann - trotzdem ist der gefährliche Leckerbissen beliebter denn je. Auch Verbote konnten daran nichts ändern.
Während des Gespräches wird Herr Kitahama zu einem dringenden Telefonat gerufen: Fugu-Vergiftung in der Präfektur Kyushu, es besteht Lebensgefahr. Das örtliche Krankenhaus fragt an: Was sollen wir tun? Herr Kitahama ist Koch, kein Arzt. Doch in Fragen des Fugu-Fisches gibt er den Ärzten Anweisungen. Mit Kugelfischen kennt er sich aus wie kein Zweiter in Japan.
Kugelfische - Fugu - sind Japans gefährlichste Delikatesse. Ihr Gift ist tödlich. Immer wieder sterben Schlemmer an einer Fugu-Vergiftung. Doch das mindert die Lust auf den Fisch nicht im Geringsten: Der giftige Fugu erfreut sich in Japan, dessen Speisenkarte von Fisch bestimmt ist, weiterhin größter Beliebtheit, obwohl - oder weil - jeder Feinschmecker wissen muss, dass eine falsch zubereitete Fugu-Mahlzeit seine letzte sein könnte.
Ein kleines Mahl mit Fugu für 100 bis 200 Euro
„Die Geschichte des Fugu-Essens ist eine Geschichte der Vergiftungen“, sagt Kitahama. Von 1887 bis 1978 starben 6925 Menschen an Fugu-Vergiftung, also im Durchschnitt 75 Personen im Jahr, wie Kitahama vorrechnet. In der japanischen Geschichte wollte man immer mal wieder den Fugu-Genuss verbieten, besonders wenn wieder Todesfälle zu beklagen waren. Aber die Richtlinien konnten nie durchgesetzt werden. Verbote, meint Kitahama, haben den Fugu-Genuss eigentlich immer nur interessanter gemacht.
Kiichi Kitahama ist Japans ältester und wohl berühmtester Fugu-Koch. Mit seinen 83 Jahren steht er im Winter, während der Fugu-Saison, noch jeden Tag in seinem Restaurant, das für Termine am Wochenende Monate im Voraus ausgebucht ist. Das Restaurant in traditionellem Baustil in einer Gasse von Kishiwada, nahe der Metropole Osaka, wurde im Jahr 1913 von seinem Vater begründet und ist bis heute ein Familienbetrieb, der bei Fugu-Anhängern in ganz Japan bekannt ist. Für ein kleines Mahl mit Fugu-Sashimi, also rohen Fugu-Scheiben, frittiertem Fugu und Fugu-Suppe muss man hier zwischen 100 und 200 Euro zahlen. Dafür weiß man aber, dass es von einem erfahrenen Koch zubereitet ist, der keine Fehler macht.
Lizenz zum Fugu-Kochen
Denn auf die Zerlegung des Fischs kommt es beim Fugu an. Nur der weibliche Fugu ist giftig. Aber manchmal sind Fugu-Fische beiderlei Geschlechtes, und wenn ein Koch das übersieht, „wird es gefährlich“, sagt Kitahama. Die Haut, die Eierstöcke und die Leber des Fischs enthalten das Gift Tetrodotoxin. Nur ein erfahrener Koch kann die Fische so zerlegen, dass keine Giftstoffe in die Mahlzeit geraten. Die meisten Vergiftungen, so Kitahama, gehen auf das Konto unerfahrener Köche, die nicht wissen, wie man mit den Fugus umgehen muss.
Heute brauchen in den meisten japanischen Präfekturen Fugu-Köche eine spezielle Lizenz, die man nur nach zweijähriger Arbeit unter Anleitung eines erfahrenen Fugu-Küchenchefs bekommt. Auch auf den Fischmärkten Japans darf nur der Fugu-Fische kaufen, der eine Lizenz vorweisen kann. Dank strenger Auflagen - Fugu-Abfälle müssen zum Beispiel als giftiger Sondermüll entsorgt werden - gibt es weniger Vergiftungen, doch wurden auch in den vergangenen Jahren immer wieder Fälle gemeldet. Der letzte Todesfall nach einer Fugu-Mahlzeit wurde im Jahr 2008 bekannt.
Der giftige Fisch ist auch als Aphrodisiakum bekannt
Fugu-Restaurants gibt es in vielen Städten Japans. In Tokio locken einige Lokale sogar mit Aquarien, in denen man Exemplare des Giftfisches auch lebend bewundern kann. Der Fugu hat den Ruf, zart und aromatisch zu sein. Er soll ein angenehmes Kribbeln oder Taubheit auf der Zunge und im Gaumen hervorrufen. Der giftige Fisch ist auch als ein Aphrodisiakum bekannt. Aber Herr Kitahama schätzt es gar nicht, wenn Gäste nur zur Stärkung ihrer Potenz zum Fugu-Essen kommen.
Als sich in den fünfziger Jahren die Todesfälle nach Fugu-Verzehr häuften, beschloss Kitahama, sich ganz der Erforschung des Fugu zu widmen, um den kulinarischen Genuss sicherer zu machen. Neben seinem Restaurant betreibt er ein kleines Fugu-Museum, in dessen vollgestopften Glasvitrinen getrocknete Fische, Fischskelette, Giftextrakte, zu Lampenschirmen verarbeitete Fugu-Häute und andere Stücke zu besichtigen sind. Mit Wissenschaftlern in aller Welt hat er über seine Fugus korrespondiert.
Sein Restaurant wird Herr Kitahama wohl bald an seinen 33 Jahre alten Enkel weitergeben. Auch der ist schon anerkannter Fugu-Koch und wird in Zukunft nach Familienrezept und möglichst ohne Zwischenfälle Fugu zubereiten.