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Festnahmen auf Alexanderplatz : Wie Youtube-Videos zu Massenschlägereien führen können

Nach einem Aufruf in sozialen Medien ist es auf dem Berliner Alexanderplatz im März zu einer Massenschlägerei gekommen. Bild: dpa

In Berlin haben sich Anhänger zweier rivalisierender Youtuber geprügelt, die Polizei setzte Schlagstöcke und Reizgas ein, mindestens zwei Messer wurden sichergestellt. Was ist das für eine Szene, in der so etwas möglich ist?

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          Das hat es bisher in Deutschland noch nicht gegeben. In Berlin haben Fangruppen zweier rivalisierender Youtuber sich öffentlich geprügelt. Zu der Massenschlägerei kam es am Donnerstagabend mitten auf dem Alexanderplatz in Berlin, einem der besonders von Kriminalität belasteten Orte der Hauptstadt. Dort hatten sich gegen 17 Uhr rund 400 meist männliche Jugendliche und junge Erwachsene versammelt. Etwa 50 von ihnen gingen kurze Zeit später mit Faustschlägen, Fußtritten und Pfefferspray aufeinander los.

          Sebastian Eder
          Redakteur im Ressort „Gesellschaft & Stil“.
          Markus Wehner
          Politischer Korrespondent in Berlin.

          Die Polizisten aus der nahegelegenen Containerwache versuchten die streitenden und prügelnden jungen Leute zu trennen. Aufgrund der großen Menge und der Weigerung vieler Teilnehmer, ihren Anweisungen Folge zu leisten, mussten sie Verstärkung herbeirufen. Insgesamt waren dann rund 100 Beamte im Einsatz. Sie setzten Schlagstöcke und Reizgas gegen die Prügelnden ein und nahmen neun Personen vorläufig fest. Auch wurden mindestens zwei Messer sichergestellt, nachdem Drohungen wie „Ich stech’ dich ab!“ von Teilnehmern der Schlägerei gerufen worden waren. Nachdem sich die Menge zerstreut hatte, rannten nach Polizeiangaben rund 20 Anhänger der Youtuber in den U-Bahnhof Alexanderplatz, sprangen auf das Gleisbett und bewarfen sich mit Schottersteinen. Die Polizei war noch bis gegen 21.30 Uhr im Einsatz und sperrte zeitweise den U-Bahnhof. Zwei Polizisten wurden leicht verletzt.

          Grund der Auseinandersetzung ist ein Streit zwischen zwei Influencern auf dem Internet-Kanal. Ein Youtuber aus Stuttgart, der sich in den sozialen Netzwerken „ThatsBekir“ nennt und mehr als 260.000 Abonnenten hat, hatte zu dem Treffen in Berlin aufgerufen. Sein Gegenspieler, der unter dem Namen „Bahr Al Amood“ auftritt (knapp 14.000 Abonnenten), hatte ihn angeblich davor gewarnt, die Hauptstadt zu betreten. Beide hatten sich zuvor in sozialen Netzwerken, auch auf Instagram, beleidigt und als „Hurensöhne“ beschimpft. Al Amood soll Mitglied einer arabischen Großfamilie in Berlin sein, viele polizeibekannte Jugendliche aus solchen Familien sollen am Alexanderplatz anwesend gewesen sein. Nach Berichten von Augenzeugen soll Al Amood seinen Rivalen beim Aufeinandertreffen am Alexanderplatz beschuldigt haben, seine Familie beleidigt zu haben. Er habe gesagt, deshalb sei der Spaß vorbei, und es gehe „um die Ehre“. Ein Video zeigt, wie Bekir daraufhin mehrmals geschlagen wird, dann eskaliert die Situation.

          Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sieht in dem Vorfall eine allgemeine Tendenz. Sie warnte die Internetszene vor riskanten Aktionen. „Wir sehen in der Rapperszene und zunehmend auch bei anderen Influencern, dass sie teilweise sehr fahrlässig mit ihrem Einfluss umgehen und es scheinbar Mode wird, ganz bewusst Pulverfässer aufzumachen, um mehr Follower, Abonnenten und Klicks zu generieren“, sagte der GdP-Landesvorsitzende Norbert Cioma am Freitag. Es gebe Sinnvolleres als seinen Bekanntheitsgrad dafür zu nutzen, jungen gewaltbereiten Menschen eine Plattform in der Öffentlichkeit zu bieten.

          „Ihr werdet wirklich sehr viel lachen“

          Al Amood hat seinen Youtube-Account erst vor etwas mehr als einem Jahr eröffnet: „Hier wird es darum gehen: Ihr werdet wirklich sehr viel lachen“, sagte er damals. Schon in seinem zweiten Video gab es aber wenig zu lachen, er sprach über einen Streit zwischen anderen Youtubern, ergriff Partei für einen von beiden und bezeichnete dessen zwei Widersacher als „Schwulenclub“ und „Schande für alle Araber“. In den folgenden Monaten veröffentlichte er Videos, in denen er von einem Praktikum im Kindergarten erzählte, Vorschläge für Geschenke zum Valentinstag machte, Haarstyling-Tipps gab, oder seinen Zuschauern erklärte, warum er sich „keine Beziehung mit fetten Mädchen vorstellen“ kann. Weil das alles nicht so witzig ist, erreichte Al Amood nicht besonders viele Zuschauer, meistens um die 10.000.

          Wie jeder jugendliche Rap-Fan weiß, wächst die Aufmerksamkeit, wenn man sich mit erfolgreicheren Kollegen anlegt. So machte es Al Amood. Anfang Februar veröffentlichte er ein Video mit dem Titel „Thatsbekir hat Angst“. In dem Clip zeigte er, wie er sich von Bekir auf Instagram in ein Live-Video zuschalten ließ und ihn als „Hurensohn“ beschimpfte, weil der ihn angeblich vorher beleidigt habe. Das Video wurde mit großem Abstand zu seinem meistgeklickten Film. Am Freitag wurde es von der Plattform genommen. Noch zu finden ist ein Video, in dem Bekir Mitte Februar auf verschiedene Streitigkeiten mit anderen Youtubern eingeht und sich auch über „random Leute“ beschwert, die ihn grundlos beleidigt hätten: „Die dachten sich bestimmt alle: Wenn er mich auch beleidigt, wird das auf Youtube erscheinen.“

          Bekir ist auf der Plattform schon länger aktiv. Es gibt Videos von ihm, auf denen er noch wie ein Kind aussieht und angeblich im Auftrag eines weiblichen Fans bei ihrem Freund anruft, sich als Mädchen ausgibt und dessen Treue testet. Die Videos, die er dreht, sind erfolgreicher als die von Al Amood, aber der Inhalt ist ähnlich: Bekir macht Sachen, die Jungs früher auf Schulhöfen gemacht haben, um Applaus von Mitschülern zu bekommen. Dazu gehören Angebereien, Mutproben, Streiche – und Mobbing: „Was ich an Mädchen hasse“, heißt eines seiner Videos.

          Auch als Musiker hat sich der Youtuber mal versucht: „Genau vor fünf Monaten das erste Mal auf Upload-Button, heute seh’ ich, wie auf meinem Channel Abos platzen“, rappt er in einem Lied, das mehr als eine Million mal aufgerufen wurde. Für seine Rap-Versuche wurde er von anderen Youtubern verhöhnt, er wehrte sich, es gab Streit. Und wegen der gigantischen Followerzahlen können solche kleinen Streitigkeiten schnell große Dimensionen annehmen, wenn sie mal ins reale Leben schwappen. Sind dann noch arabischstämmige Jugendliche beteiligt, denen es um verletzte Ehre und beleidigte Familienmitglieder geht, kann es richtig ernst werden. So wie früher auf den Schulhöfen – nur mit viel mehr Beteiligten.

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