Deutsche Sprayer in Singapur : Drei bis acht Stockhiebe
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Sprayerwerkzeug: In ihrer Heimat Leipzig gehören die beiden Inhaftierten angeblich zu einer Graffiti-Gang, den „Radicals“. Bild: Franziska Gilli
Zwei Deutsche sind in Singapur inhaftiert worden, weil sie Graffiti gesprayt haben. Das wird brutal bestraft. Ausnahmen für Ausländer gibt es nicht.
Am frühen Morgen des 8. November 2014 verschaffen sich zwei Männer Zugang zu einem Betriebswerk der U-Bahn von Singapur. Das „Bishan Depot“ liegt nördlich der Innenstadt, auf dem Weg zum Zoo, der für seine Nachtsafaris bekannt ist. In der Dunkelheit besprühen die Sprayer einen der Waggons mit einem etwa eineinhalb Meter hohen Graffito, das sich fast über die gesamte Breite des Gefährts erstreckt. Die Aktion dauert von etwa 2.48 Uhr bis 3.29 Uhr. Als gegen 6.46 Uhr in Singapur die Sonne aufgeht, sind die Täter über alle Berge.
Am Tatort findet die Polizei zwölf Sprühdosen und einen Plastikhandschuh. Knapp zwei Wochen später sind die Täter gefasst: Elton H. und Andreas K., beide 21, beide aus Leipzig. Sie waren noch am Tag der Sprühaktion aus Singapur ausgereist, hatten Bangkok und andere Orte in Südostasien besucht und waren schließlich am Flughafen von Kuala Lumpur festgenommen worden.
Malaysia liefert die Deutschen an den Nachbarstaat aus. Singapurs Polizei feiert den Fahndungserfolg. Mit verschränkten Armen posieren die Beamten für ein Pressefoto, als wirkten sie in der Krimiserie „CSI“ mit. Denn Vandalismus gilt in Singapur nicht als Kavaliersdelikt. Den Deutschen drohen Gefängnis- und Geldstrafen sowie drei bis acht Hiebe mit einem Rohrstock auf das nackte Gesäß. Ihr Anwalt Christopher Bridges sagt, sie „akzeptierten“ das. Vor Gericht wollen sie sich am 5. März schuldig bekennen.
Die Szene ist nahezu perfekt organisiert
In ihrer Heimatstadt sind Elton H. und Andreas K. keine Unbekannten. Beide seien „aus der illegalen Graffitiszene in Leipzig“ und anderswo den Ermittlungsbehörden hinlänglich bekannt, sagt ein Sprecher der Leipziger Staatsanwaltschaft. Dabei sei es auch immer wieder um Vorwürfe im Zusammenhang mit Graffiti an Wagen und Lokomotiven der Bahn gegangen. Sowohl H. als auch K. sind als Jugendliche wegen illegaler Graffiti verurteilt worden. Die Strafen lauteten bisher jedoch nie Gefängnis; vielmehr hatten beide Arbeitsstunden abzuleisten.
Das Besprühen von Bussen und Bahnen gilt in der Szene als Königsdisziplin; die Ergebnisse werden gern per selbstgedrehtem Video im Internet veröffentlicht. Da ist dann etwa zu sehen, wie eine leere Regionalbahn an einem einsamen Haltepunkt per Notbremse angehalten wird und eine bereits lauernde Gang Vermummter herbeirennt und den kompletten Zug neu einfärbt; „Bombing“ heißen diese Aktionen im Szene-Jargon. Zahlreiche Verfahren um Graffiti muss die Staatsanwaltschaft wegen nicht ausreichender Beweise einstellen. Die Täter auf frischer Tat zu schnappen gelingt nur selten, auch weil sich die Szene nahezu perfekt organisiert.
In den vergangenen Jahren ist Leipzig zu einer Art Graffiti-Hochburg geworden. Die Polizei schätzt, dass der Szene heute zwischen 200 und 300 Personen angehören, die im Wesentlichen aus zwei Gangs besteht, den „Radicals“ (RCS), die sich eigenen Angaben zufolge 2005 gründeten, sowie den „Organisierten Radicals Gegnern“ (ORG), die sich 2010 formierten.