Prostitution in Deutschland : Ein Leben mit dem Stigma
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Prostitution im Frankfurter Rotlichtmilieu Bild: /laif
Die Politik legt neue Zahlen zum Ausstieg aus der Prostitution vor. Doch was verraten sie uns überhaupt über die Rotlichtwelt?
In der Kaffeepause lehnt sich Sabine Constabel über einen Stehtisch im ersten Stock des Bundesfamilienministeriums: „Das hier war die große Show des absoluten Scheiterns“, sagt die Sozialarbeiterin aus Stuttgart und blättert in ihrem Block, bis sie eine Zahl findet, die sie sich während der vorangegangenen Vorträge aufgeschrieben und mehrfach unterstrichen hat: 68. So viele Frauen hatten am Ende des Modellprojekts „Unterstützung des Ausstiegs aus der Prostitution“ eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gefunden. Die Frau mit den blonden Haaren und der grünlichen Brille schäumt geradezu: 68 Frauen! In fünf Jahren! An drei Standorten! Von „überhaupt nur“ 362 Klientinnen! „Es kann nicht sein, dass man so wenige Frauen in Arbeit vermittelt“, schimpft Constabel. „Sie haben die Frauen nicht erreicht.“
Das Pikante an dieser Fundamentalkritik: Sabine Constabel, die seit 25 Jahren für das Stuttgarter Gesundheitsamt in einer Anlaufstelle für Prostituierte in der baden-württembergischen Landeshauptstadt arbeitet, ist überzeugt, zu wissen, wie es besser geht. Kurz vor der Fachtagung am Donnerstag hat sie deshalb einen neugegründeten Verein vorgestellt. „Sisters“ nennt sich der Zusammenschluss, Schwestern. Auf der Homepage heißt es: „In Zeiten, in denen der Staat versagt und Deutschland zur europäischen Drehscheibe des Frauenhandels und zum Einreiseland für Sextouristen geworden ist, appellieren wir an Bürgerinnen und Bürger zu handeln. Wir wollen Prostituierten in Not sowie beim Ausstieg helfen. Wir wollen aufklären über die bittere Realität der Prostitution.“
Prostituiertenschutzgesetz lässt auf sich warten
Käuflicher Sex ist ein heikles Thema, und das Prostitutionsgesetz von 2002, das die Sittenwidrigkeit abschaffte, um die betroffenen Frauen aus der Schmuddelecke zu holen und ihnen eine legale Existenz zu ermöglichen, hat die Diskussion nicht einfacher gemacht. Das zeigt sich schon daran, dass sich die große Koalition vor gut einem Jahr auf Eckpunkte für ein neues Prostituiertenschutzgesetz verständigt hat, ohne dass bis heute absehbar wäre, wann der Gesetzentwurf ins Kabinett käme. Derzeit werden Verbände und die Bundesländer angehört, eine Sprecherin des Familienministeriums sagt: „Es sind schwierige Verhandlungen, da das Meinungsspektrum ziemlich weit ist und man Kompromisse finden muss.“
Das eine Ende dieses Spektrums ist am Donnerstagvormittag mit aufgespannten roten Regenschirmen vor das Berliner Ministerium gezogen. Aktivisten aus der Sexbranche übergeben Unterschriften, mit denen sie sich gegen die geplante Anmeldepflicht für Prostituierte wehren wollen, weil sie darin ein Instrument zur Kontrolle und Überwachung sehen. „Das ist Entmündigung“, ruft eine Frau mit wasserstoffblonden Haaren und schwarzem Ultramini. „Wir brauchen keinen Schutz. Wir brauchen Rechte.“ Zum anderen Ende des Spektrums gehört zum Beispiel Sabine Constabel, die sagt, sie habe die Hoffnung auf Regeln zum wirksamen Schutz von Frauen in der Prostitution inzwischen aufgegeben.
Nun hat dieser Streit um das neue Gesetz mit der Fachtagung im Ministerium zunächst nicht viel zu tun. Unabhängig von politischen Positionen, heißt es gleich zur Eröffnung, gehe es beim Thema Ausstieg um die ganz praktische Frage, wie man ausstiegswillige Frauen am besten erreiche und gemeinsam mit ihnen Lösungen finde. Die Veranstaltung fühlt sich wie ein Klassentreffen an, Forscherinnen, Sozialarbeiterinnen, kommunale Fachleute und Aktivistinnen, insgesamt nur wenige Männer – viele kennen sich seit Jahren. Nur wenn dann der vorherrschende Jubel für das Modellprojekt und Constabels vernichtende Kritik daran so gar nicht zueinanderpassen wollen, hilft es, sich zu vergegenwärtigen, wie ideologisch vermint das Terrain doch ist.