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Urteil wegen Polizistenmorden : „Wie eine Hinrichtung“

  • -Aktualisiert am

Verurteilt: Andreas S. kurz vor dem Schuldspruch Bild: via REUTERS

Andreas S. muss für den Mord an zwei Polizisten lebenslang ins Gefängnis. Der Richter findet in seiner Urteilsbegründung deutliche Worte für die Tat.

          4 Min.

          Am Ende blieb nichts mehr übrig von der Tatversion, die Andreas S. im Laufe des Prozesses immer wieder präsentiert hatte, zuletzt in seinem Schlusswort: Sein Mitangeklagter Florian V. habe die Polizistin getötet, er selbst habe in einer Art Notwehr-Situation die tödlichen Schüsse auf ihren Kollegen abgegeben, nicht wissend, dass es sich um einen Beamten handle.

          Keineswegs in Notwehr gehandelt

          Julia Anton
          Koordinatorin „Gesellschaft“.

          Minutiös geschildert hatte er die angebliche Situation, die Ende Januar zum Tod der beiden jungen Polizisten im Kreis Kusel geführt hatte. Und genauso minutiös widerlegte der Vorsitzende Richter jede seiner Aus­sagen am Dienstag im Landgericht Kaiserslautern in seiner Urteilsbegründung.

          So seien die Beamten Yasmin B. und Alexander K. in der Tatnacht durch ihre Dienstkleidung und Ausrüstung gut als Polizisten zu erkennen gewesen. Nur so lasse sich auch erklären, dass Andreas S. ihnen seine Papiere aushändigte.

          Es sei außerdem zu bezweifeln, dass der Neununddreißigjährige, der „stets alles kon­trollieren wollte“, dem Drogenkonsumenten V. seine Schrotflinte überlassen hätte. Verschmutzungen an K.s Kleidung, Blutspuren und die Position, in der seine Dienstwaffe gefunden wurde, belegten, dass S. keineswegs in Notwehr in Richtung des polizeilichen Mündungsfeuers schoss, sondern zwei der ins­gesamt vier Schüsse erst abgab, als dieser schon verletzt im Feld zusammengesackt war, das Magazin seiner Dienstwaffe längst leer geschossen..

          Der Hauptangeklagte Andreas S., rechts, neben seinem Anwalt
          Der Hauptangeklagte Andreas S., rechts, neben seinem Anwalt : Bild: AFP

          Mit zweieinhalb Stunden nimmt die Urteilsbegründung ungewöhnlich viel Zeit in Anspruch. Der Vorsitzende Richter ist gründlich und lässt nichts aus. Am Ende bleibt für die Nacht zum 31. Januar folgendes Tatgeschehen festzuhalten: Gemeinsam waren S. und V. aufgebrochen, um illegal zu wildern, wie sie es seit dem Herbst 2021 regelmäßig getan hatten. S. schoss dabei vom Fahrzeug aus auf das Wild, V. trug die Kadaver in den um­gebauten Kastenwagen.

          Zum Ende der Jagdnacht, 22 Tiere waren bereits erlegt, entdeckten die beiden nahe der Kreisstraße 20 im Kreis Kusel ein Wildschwein. Andreas S. schoss. V. verließ demnach gerade das Fahrzeug, um es zu holen, als ein ziviles Polizeifahrzeug ­nahte und für eine Verkehrskontrolle auf Höhe des Kastenwagens anhielt. Dabei übergab S. seine Papiere und stieg aus dem Fahrzeug.

          Bei der Kontrolle fiel Alexander K. das Wild im Kofferraum auf. S. hatte die Hecktür seines Wagens so modifiziert, dass sie stets einen Spalt offen stand, um die Kadaver zu kühlen. Über Funk forderte K. Verstärkung an, er sprach von „dubiosen Personen“ und äußerte auch den Verdacht auf Jagdwilderei.

          Die Personalien oder das Kennzeichen nannte er aber nicht. S., der die Sätze nach Ansicht der Kammer mithörte und weder eine Jagderlaubnis noch einen Waffenschein hatte, sah darin eine Möglichkeit, noch davonzukommen: indem er die beiden Beamten tötete und unerkannt floh.

          Er griff nach der Schrotflinte, die im Auto bereit lag, und schoss der Polizistin Yasmin B. „in Tötungs­absicht“ in den Kopf. Anschließend zielte er in der Absicht, K. zu verletzen und seine Bewegungsfähigkeit einzuschränken, auf ihren Kollegen. Alexander K. gelang es noch, einen Notruf abzusetzen, er schoss bei seiner Flucht auf das angrenzende Feld sein Dienstmagazin leer.

          Beihilfe zu Jagdwilderei in einem besonders schweren Fall schuldig

          Der Vorsitzende Richter skizzierte weiter, wie S. nun zu seinem mit illegaler Thermozielferntechnik ausgerüsteten Jagdgewehr griff und K. zunächst mit einem Schuss in den Bauch traf. Anschließend schoss er zwei weitere Male auf den bereits am Boden liegenden K., zuletzt aus nächster Nähe.

          K. forderte dann V. auf, der sich während eines Großteils der Schüsse in einem Graben versteckt gehalten hatte, ihm bei der Suche nach den Papieren zu helfen – „sonst leg ich dich daneben“. Als S. auffiel, dass die junge Beamtin noch lebte, schoss er ein zweites Mal auf ihren Kopf. Schließlich traten sie ohne die Papiere die Flucht zurück ins Saarland an, in der Ferne war bereits das Martinshorn der Kollegen zu hören.

          Florian V. spricht die Kammer der Beihilfe zu Jagdwilderei in einem besonders schweren Fall schuldig. Weil der Dreiunddreißigjährige nach seiner Festnahme entscheidend zur Aufklärung der Tat beigetragen hat, bleibt er straffrei. An­dreas S. muss lebenslang wegen zweifachen Mordes, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in einem besonders schweren Fall und Jagdwilderei in einem besonders schweren Fall in Haft. Außerdem stellt die Kammer die besondere Schwere der Schuld fest. Eine vorzeitige Entlassung nach 15 Jahren ist damit nahezu ausgeschlossen.

          „S. kennt nur die Jagd, die Jagd und noch mal die Jagd“

          Der Richter findet deutliche Worte für die Tat. Andreas S. sei bei den Schüssen auf die beiden jungen Menschen genauso vorgegangen wie bei der Jagd auf Wild. Ein Kopfschuss, auch wenn das in Jägerkreisen eigentlich unüblich ist, und ein Fangschuss aus nächster Nähe, falls das Tier noch lebt. „Bei Menschen nennt man das aber nicht Fangschuss, sondern Hinrichtung“, sagt der Richter. „Planvoll und eiskalt“ nennt er das Vorgehen. Als „Jäger“ will er den Angeklagten nicht bezeichnen, das sei despektierlich gegenüber allen anderen Jägern.

          Das Motiv sei die Verdunklung der Jagdwilderei gewesen. Andreas S. hatte weder einen gültigen Jagdschein noch eine Waffenerlaubnis. Zwar sei die zu erwartende Strafe vergleichsweise gering gewesen, der Vater von vier Kindern hatte im Prozess gesagt, er hätte sie „mit einer Arschbacke abgesessen“.

          Der Richter verweist aber auch auf die persön­liche Bedeutung, die das Jagen für den insolventen Bäcker hatte. Sein Vater hatte ihn vor seinem frühen Tod mit zur Jagd genommen. Ein Freund hatte vor Gericht über ihn gesagt: „S. kennt nur die Jagd, die Jagd und noch mal die Jagd, dann kommt Familie, dann wieder die Jagd.“ Als Wilderer wäre S. in Jäger­kreisen geächtet und „seiner Passion beraubt worden“, so der Richter.

          Schließlich richtet der Jurist ein paar persönliche Worte an die Nebenklagevertreter – eine Angehörige von Yasmin B. ist ebenfalls anwesend. „In den letzten zweieinhalb Stunden ging es nur um Andreas S.“, das liege in der Natur von Strafprozessen. „Aber auch Sie haben lebenslänglich.“ Er äußert die Hoffnung, dass die Angehörigen mit dem Urteil anfangen könnten, das Geschehen zu verarbeiten. Ein Anwalt der Familie B. spricht im Anschluss von Erleichterung.

          Es ist das Ende eines Prozesses, der deutlich länger ging als zunächst erwartet, und der zahlreiche Besucher anzog. Viele kannten die Opfer gar nicht, sie kamen zunächst aus Neugierde und dann immer wieder: weil der Prozess ihnen so surreal schien, der Angeklagte so gefühlskalt, jeder Verhandlungstag so emotional. „Gerecht“, das Wort ist nach der Verhandlung im Flur des Land­gerichts oft zu hören.

          Noch steht aus, ob das Urteil das letzte Wort in dem Fall ist. Es gilt als wahrscheinlich, dass Andreas S. Revision einlegt. Die Worte des Richters hat er fleißig mitgeschrieben, äußerlich ungerührt.

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