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Steinmeier nach Stuttgart : „Wer Polizisten verächtlich macht, dem müssen wir uns entgegenstellen“

  • Aktualisiert am

Frank-Walter Steinmeier vergangene Woche im Schloss Bellevue Bild: dpa

Die Stuttgarter Polizei schätzt den durch Randalierer verursachten Schaden auf einen sechs- bis siebenstelligen Betrag. Die Deutsche Polizeigewerkschaft fordert ein Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen – und eine Diskussion über eine Sperrstunde.

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          Der Stuttgarter Polizeivizepräsident Thomas Berger beziffert den Schaden durch marodierende Gruppen in Stuttgart auf einen sechs- bis siebenstelligen Betrag. Das sagte der Leiter des Polizeieinsatzes während der nächtlichen Randale in einem Interview mit dem Journalisten Gabor Steingart.

          An den Krawallen in der Nacht zum Sonntag waren nach Angaben der Polizei 400 bis 500 Menschen beteiligt. 40 Läden wurden beschädigt und zum Teil geplündert. Mindestens 19 Polizisten wurden verletzt. 24 Menschen wurden vorläufig festgenommen.

          Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die gewaltsamen Ausschreitungen scharf verurteilt und sich demonstrativ hinter Polizeibeamte gestellt. „Gewalt, Vandalismus, schiere Brutalität – wie am Wochenende in Stuttgart gesehen – müssen mit aller Härte des Rechtsstaats verfolgt und bestraft werden“, sagte Steinmeier am Montag in Berlin.

          „Wer Polizistinnen und Polizisten angreift, wer sie verächtlich macht oder den Eindruck erweckt, sie gehörten „entsorgt“, dem müssen wir uns entschieden entgegenstellen.“ Steinmeier betonte, diejenigen, die auf den Straßen und Plätzen Tag für Tag unser friedliches Miteinander schützten und das Gewaltmonopol des Staates verteidigten, „verdienen unseren Respekt und unsere Unterstützung, wenn sie brutal attackiert werden“.

          Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will sich in Stuttgart vor Ort ein Bild von der Lage machen. Dies teilte das baden-württembergische Innenministerium am Montag mit. Innenminister Thomas Strobl (CDU) werde Seehofer um 12 Uhr zu einem Gespräch in seinem Büro treffen. Ab 13 Uhr sei ein Termin vor Ort in der Innenstadt geplant.

          Reist jetzt nach Stuttgart: Horst Seehofer vergangene Woche in Erfurt
          Reist jetzt nach Stuttgart: Horst Seehofer vergangene Woche in Erfurt : Bild: dpa

          Strobl versicherte, mit aller Konsequenz gegen die Randalierer vorzugehen. „Wir werden mit allem, was uns der Rechtsstaat zur Verfügung stellt, die Randalierer verfolgen und sie zur Rechenschaft ziehen“, sagte er am Sonntagabend in den ARD-„Tagesthemen“. Die Qualität dieser gewalttätigen Ausschreitungen sei neu. Strobl verwies darauf, dass es wenig Anzeichen für eine politische Motivation gebe. Das sei aus der „Partyszene“ gekommen, sicher seien auch Drogen und Alkohol im Spiel gewesen.

          Ähnlich äußerte sich auf Polizeivizepräsident Thomas Berger: Die Täter hätten sich in sozialen Medien in Pose setzen wollen und skandiert: „Endlich ist in Stuttgart was los“. Zudem hätten die Corona-Einschränkungen dazu geführt, dass junge Menschen sich zunehmend im öffentlichen Raum träfen. Diese Gruppe reagiere auf normale polizeiliche Ansprache sehr aggressiv. Schließlich hätten die Rassismusvorwürfe gegen die amerikanische Polizei auch zu Unmut hierzulande geführt.

          „Gesellschaftliches Reizklima“

          Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Mathias Middelberg (CDU), forderte eine rückhaltlose Aufklärung der Ausschreitungen. „Das Entstehen rechtsfreier Räume dürfen wir nicht zulassen“, sagte Middelberg der „Welt“. Die Gewaltausbrüche müssten „rückhaltlos aufgeklärt und die Täter konsequent bestraft werden“. Es sei richtig, dass „wir die Strafen für tätliche Angriffe auf Polizeibeamte gerade verschärft haben“.

          Spuren der Verwüstung: Beschädigte Scheiben eines Fast-Food-Restaurants sind in Stuttgart mit Holzplatten abgedeckt
          Spuren der Verwüstung: Beschädigte Scheiben eines Fast-Food-Restaurants sind in Stuttgart mit Holzplatten abgedeckt : Bild: dpa

          Der ehemalige Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir warnte vor einer Verrohung der Gesellschaft. „Wir haben es insgesamt mit einer Verrohung zu tun, der Umgangsformen, der Gewalt, die angewendet wird“, sagte Özdemir in der RTL-Sendung „Guten Morgen Deutschland“.

          Es müsse eine Beschäftigung mit der Frage geben, „wie es passieren kann, dass Jugendliche, insbesondere auch mit Migrationshintergrund, zum Teil uns entgleiten“, sagte Özdemir. Er forderte zugleich ein hartes Vorgehen gegen die Randalierer: „Das muss mit der ganzen Härte des Rechtsstaates geahndet werden.“

          Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) forderte die Politik auf, sich hinter die Polizei zu stellen. „Wir müssen feststellen, dass wir uns in einem gesellschaftlichen Reizklima befinden“, sagte der stellvertretende GdP-Vorsitzende Jörg Radek RTL. Die Politik müsse der Polizei jetzt „den Rücken stärken und nicht in den Rücken fallen“.

          Der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Ralf Kusterer, forderte, dass sich die Stadt Stuttgart nicht mehr gegen ein Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen sperren dürfe. „Jugendliche haben auch außerhalb der derzeit gesperrten Clubs ausreichend Gelegenheit, sich Alkohol zu kaufen.“ Auch eine Sperrstunde zum Beispiel zwischen 3.00 und 7.00 Uhr morgens müsse diskutiert werden. „Die Polizei hat nachts überhaupt keine Ruhe mehr, bevor es morgens wieder losgeht. Es läuft rund um die Uhr durch", sagte Kusterer.

          Vor allem jüngere Menschen hätten Hemmungen verloren, weil die Polizei in den vergangenen Wochen unter anderem in der politischen Debatte zum Feindbild stilisiert worden sei. Kusterer erneuerte in diesem Zusammenhang seine Vorwürfe gegen SPD und Grüne. Die pauschale Verunglimpfung und Verunsicherung der Polizei habe zu der Enthemmung beigetragen, sagte er. „Wenn die Politik ihre eigene durchsetzende Gewalt und die der Polizei öffentlich schwächt, schwächt sie ihre und die gesellschaftlichen Regeln und Normen gleich mit“, kritisierte Kusterer.

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