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Mutmaßliche Vergewaltigung : Die Grenze des Rechts

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Als sie seine Hemden bügelt, kommt er zu ihr und berührt sie am Rücken. Sie sagt, er solle aufhören. Dann drückt er sie auf das Bett. Bild: (c) Roderick Chen/First Light/Co

Er ist Diplomat aus Arabien, sie putzt und bügelt für ihn. Eines Tages passiert, was nicht passieren darf. Und Anna Flores muss erkennen, dass niemand in Deutschland ihr helfen kann – oder will.

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          Manchmal empfindet Anna Flores Schmerz, wenn sie in die Augen ihrer vier Jahre alten Tochter blickt, manchmal auch Wut, aber je mehr Zeit vergeht, desto seltener werden diese Momente. Ihre Tochter ist ihr wichtigster Anker in einer ansonsten fremden Welt, und natürlich liebt sie sie, man merkt es, wenn man die beiden trifft, Mutter und Tochter. Aber gleichzeitig ist das Kind ständige Erinnerung an etwas, das Flores gern vergäße.

          Die Augen ihrer Tochter sind tiefbraun. Es sind die Augen des Vaters. Die Augen von Anna Flores’ mutmaßlichem Vergewaltiger. Und als hätte Flores, diese zierliche Philippinerin mit schulterlangen, schwarzen Haaren und leiser Stimme, nicht schon genug Probleme, sitzt sie hier in Deutschland fest. Seit fünf Jahren schon.

          Zurück auf die Philippinen zu ihrem Mann und den beiden anderen Kindern traut sie sich nicht – aus Angst, verstoßen zu werden. Ein außereheliches Kind gilt dort als Schande. In Deutschland aber kommt sie nicht richtig an. Sie ist nur geduldet, spricht kein Deutsch, lebt von Sozialhilfe.

          Der deutsche Staat ist an seine Grenzen gestoßen

          Ihr Leben ist in den vergangenen fünf Jahren aus den Fugen geraten, und die Frage ist: Hätte der deutsche Staat etwas dagegen tun können? Oder müssen? Stimmt es, dass ihr die Staatsanwaltschaft hätte helfen können, wie ihre Anwältin sagt? Oder das Auswärtige Amt, wie eine Menschenrechtsorganisation sagt? Anna Flores weiß es nicht. Sie fühlt sich als Spielball von Akteuren, die sie nicht versteht, von Botschaften und Ministerien, Anwälten und Menschenrechtlern. Sie wünscht sich, dass alles wieder gut wird. Am liebsten hätte sie, dass ihre philippinische Familie nach Deutschland kommt. Dass sie ihre Tochter in Deutschland akzeptiert. Dass der Mann, dem sie vorwirft, sie vergewaltigt zu haben, bestraft wird oder wenigstens Unterhalt zahlt.

          In Flores’ Fall ist der deutsche Staat an seine Grenzen gestoßen. Teils, weil er Fehler gemacht hat. Teils, weil es auch in einem so engmaschigen Justizsystem wie dem deutschen nicht vorgesehen ist, dass in jedem Einzelfall für Gerechtigkeit gesorgt werden kann, wie der Jurist Stefan Oeter sagt.

          Von alldem ahnt Flores nichts, als sie im September 2010 durch eine westdeutsche Stadt geht, hoffnungsvoll, vorbei an millionenteuren Häusern und Auffahrten mit PS-starken Autos, weiter bis zu einem großen Haus am Hang.

          Flores steigt damals die Steintreppe hinauf zur Tür. Ein Mann öffnet. Er hat tiefbraune Augen. Er bietet ihr Wasser und Saft an. Sie hat ein gutes Gefühl. Es ist ihr erster Arbeitstag. Sie wird für ihn putzen und bügeln. Er ist ein hochrangiger arabischer Diplomat. Und sie sein Hausmädchen.

          Dass sie illegal in Deutschland ist, störe ihn nicht, sagt er. Das Geld, zehn Euro die Stunde, bekommt sie bar.

          Flores ist nach Deutschland gekommen, um ihrer Familie ein besseres Leben zu ermöglichen. Tausende Philippinerinnen gehen jedes Jahr in die Welt, um in einem fernen Land als Hausmädchen zu arbeiten.

          Zwei Mal die Woche wischt Flores bei dem Diplomaten die Böden, manchmal putzt sie die Fenster. In einem Zimmer im ersten Stock steht das Bügelbrett. Daneben ein kleines Gästebett.

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