Mordfall Ayleen : Verhängnisvolle Verabredung per Chat
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Blick aus einer Gefängniszelle. Bild: Picture Alliance
Ein 29 Jahre alter, vorbestrafter Sexualstraftäter chattet über Online-Spielplattform „Fortnite“ mit einem 14 Jahre alten Mädchen. Es kommt zum Treffen. Wenige Stunden später ist das Mädchen tot.
Am ersten Tag nach dem Verschwinden der 14 Jahre alten Ayleen A. aus Südbaden suchte die Polizei mit Spürhunden und Hubschraubern in Gottenheim, Umkirch und March. Etwa hundert Feuerwehrleute beteiligten sich am 22. Juli an der Suche, auch einige Winzer aus der Gegend halfen mit. Vergeblich. Es hieß, das Mädchen sei am 21. Juli abends am nördlichen Tuniberg, der im Breisgau zwischen Schwarzwald und Rhein liegt, gesehen worden. Sie habe zwischen 16 und 18 Uhr einem Freund einen Hoodie zurückbringen wollen. Doch nach den gegenwärtigen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und der Kriminalpolizei Freiburg hatte sich das als „schüchtern und zurückhaltend“ beschriebene Mädchen für diesen Abend per Chat mit einem Mann verabredet.
Wie fast alle Jugendlichen ihres Alters nutzte auch Ayleen A. verschiedene Messengerdienste sowie die Chat-Funktion der Online-Spielplattform „Fortnite“. Arno Englen, Leiter der Freiburger Kriminalpolizei, sagte am Montag auf einer Pressekonferenz zum Mordfall Ayleen: „Wir mussten schnell feststellen, dass wir es mit einer digitalen Spurensuche zu tun haben.“ Nur einmal meldete der Handy-Provider der Vermissten einen Einbuchungsversuch – in Hessen. Durch eine umfangreiche Analyse digitaler Daten gelang es der Ermittlungsgruppe schließlich, den Leichnam des Mädchens am 28. Juli in einem schwer zugänglichen Baggersee in der Nähe von Bad Nauheim mit einem Hubschrauber ausfindig zu machen. Der mutmaßliche Täter, mit dem sich Ayleen A. offenbar in Gottenheim verabredet hatte, soll mit ihr noch am Abend des 21. Juli nach Hessen gefahren sein. „72 Stunden nach dem Auffinden von Ayleens Leiche konnten wir den Täter festnehmen“, sagte Englen. Die Polizei traf ihn nicht in seiner Wohnung an, sondern in Frankfurt.
Bei dem Verdächtigen handelt es sich um einen 29 Jahre alten, vorbestraften deutschen Staatsbürger aus der Nähe von Wetzlar. Im Alter von 14 Jahren hatte er ein elf Jahre altes Mädchen „von hinten angefallen“ und sexuell belästigt. Daraufhin wurde er wegen sexuellen Missbrauchs und versuchter Vergewaltigung verurteilt. Von 2007 bis 2017 war er wegen des schweren Sexualdelikts im Maßregelvollzug untergebracht. Nach der Entlassung wurde er fünf Jahre lang, bis zum 25. Januar 2022, durch die Zentralstelle zur Überwachung rückfallgefährdeter Sexualstraftäter (ZÜRS) des hessischen Landeskriminalamts kontrolliert. Das Programm umfasst regelmäßige Gefährderansprachen sowie eine Betreuung durch die Sozialämter. Der Beschuldigte soll erst nach dem Ende der Kontrollmaßnahmen über die sozialen Netzwerke Kontakt zu Ayleen A. aufgenommen haben. Mit welcher Identität er sich im Netz bewegte, welches Alter er vortäuschte, wird noch ermittelt.
Persönliche Gegenstände von Ayleen A.
Am 29. Juli durchsuchte die Polizei die Wohnung des Tatverdächtigen und fand mehrere persönliche Gegenstände von Ayleen A. Wenige Stunden später konnte die Polizei den Verdächtigen festnehmen. „Wir führen ein Ermittlungsverfahren wegen der Entziehung Minderjähriger, sexueller Nötigung und Mordes in Verdeckungsabsicht“, sagte die Staatsanwältin Franziska Scheuble am Montag. Weil der Leichnam mehrere Tage im Teufelsee im hessischen Wetteraukreis getrieben haben muss, war die Obduktion ausgesprochen schwierig. Sie dauerte sieben Stunden, nur aufgrund des Zahnstatus und des DNA-Profils konnte der Leichnam des Mädchens schließlich identifiziert werden. Die Gerichtsmediziner konnten bislang noch nicht klären, ob und in welcher Form das Opfer sexuell missbraucht oder vergewaltigt wurde; auch die genaue Todesursache steht noch nicht fest.
Der am Freitag verhaftete Beschuldigte befindet sich seit Samstag in Untersuchungshaft. Er soll die Tat zunächst bestritten haben, mittlerweile macht er von seinem Schweigerecht Gebrauch. „Wir hatten leider keine Chance, Ayleen rechtzeitig und lebend zu finden. Das ist bitter“, sagte der Freiburger Polizeipräsident Franz Semling. Die Anonymität im Internet habe den Täter geschützt, Ayleens Handy sei leider nicht zu orten gewesen. Trotz vieler Aufklärungsveranstaltungen würden Jugendliche immer noch sorglos die Kontaktmöglichkeiten des Internets nutzen. Aus dem Fall lasse sich lernen, dass es hilfreich sei, wenn bei einem ersten Treffen, das im Internet verabredet wurde, wenigstens eine zweite Person als Zeuge anwesend sei. Nach einer ersten Einschätzung der Ermittler müssen in den nächsten Wochen zehn Millionen digitale Spuren zur Rekonstruktion des Tatablaufs ausgewertet werden. Der Gießener Oberstaatsanwalt Thomas Hauburger sagte, die junge Frau habe den „Verschwindeort“ wahrscheinlich noch lebend verlassen. Ob sie auf der Fahrt oder an dem See getötet wurde, muss noch geklärt werden. Nach derzeitigem Ermittlungsstand waren an der Chat-Kommunikation und der Verabredung keine weiteren Personen beteiligt. „Es gibt keine Hinweise auf Mitwisser, wir müssen aber noch sehr umfangreiche Chatverläufe auswerten.“ Der mutmaßliche Täter und Ayleen A. bahnten ihr Treffen offenbar über Monate per Chat an, bis es am Nachmittag des 21. Juli zu der verhängnisvollen Begegnung in Südbaden kam.