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„Dickpics“ und Deepfakes : Mehr Frauen suchen Rat wegen sexualisierter Gewalt im Netz

  • Aktualisiert am

Die Hand einer Frau tippt die Worte "Ich beobachte dich" in ein Smartphone ein. Bild: dpa

Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe erhalten seit Beginn der Corona-Pandemie mehr Anfragen zu bildbasierter digitaler Gewalt. Betroffene seien dadurch sehr belastet – und stoßen bei der Strafverfolgung auf weitere Hürden.

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          Stalking, Belästigung, Deepfakes – der Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe fordert mehr Aufmerksamkeit für digitale geschlechtsspezifische Gewalt. „Verschiedene Formen digitaler Gewalt, speziell bildbasierter Gewalt, haben in der Pandemie noch mal stark zugenommen, als die Digitalisierung in noch mehr Bereiche unseres Lebens vorgedrungen ist“, sagt Referentin Kerstin Demuth. Viele Frauen hätten sich deshalb an die mehr als 200 Fachberatungsstellen bundesweit gewandt; genaue Zahlen lägen aber nicht vor. „Es ist sehr belastend, wenn beispielsweise Bilder gestohlen werden, ob vom Ex-Partner oder weil die Cloud schlecht gesichert war, und dann Nacktfotos der Betroffenen im Internet kursieren.“

          Es sei schwierig, jedes dieser Bilder im Netz zu finden und dagegen vorzugehen. „Wir brauchen Sicherheit, dass erstens Inhalte schneller entfernt werden, die ohne Erlaubnis der Fotografierten verbreitet werden, und zweitens nicht wieder hochgeladen werden oder dann zumindest wieder schnell verschwinden“, fordert Demuth und verweist auf die Verantwortung der Plattformen.

          Beispiele für digitale sexuelle Gewalt sind etwa „Dickpics“ (ohne Aufforderung gesendete Bilder von Penissen), „Deepfakes“ (bei denen Bilder der Betroffenen auf pornografische Inhalte retuschiert werden), Identitätsdiebstahl, Stalking oder Belästigung im Internet. Demuth fordert Untersuchungen, die ausleuchten, wie verbreitet solche Gewaltformen in Deutschland sind.

          Sandra Schwark, Psychologin und Kriminologin, hat zur Darstellung sexualisierter Gewalt an Frauen in den Medien promoviert. Sie sagt, dass es bei (digitaler) sexualisierter Gewalt in den meisten Fällen nicht um die Anbahnung von sexuellen Kontakten geht, sondern um Machtausübung. „Guck mal, ich kann das gerade hier machen, ich kann dich in eine Situation bringen, die für dich unangenehm ist, und es hat für mich im Zweifelsfall überhaupt keine Konsequenzen“, sagt Schwark. Auf ein solches Machtgefälle weisen auch Studien hin.

          Studien erforschen die Motive digitaler Gewalthandlungen

          Die Autorinnen einer bekannten Studie zu „Dickpics“ gehen davon aus, dass viele Männer, die Penisbilder versenden, zwar nicht bewusst von Feindseligkeit oder Sexismus motiviert sind, aber diesen mit dem Versenden trotzdem verstärken. 82 Prozent der befragten Männer, die Genital-Bilder unverlangt versendet haben, hofften bei der Untersuchung des Teams um Flora Oswald (2019), die Empfängerin oder den Empfänger damit sexuell zu erregen. Jeder zweite (50 Prozent) gab an, der Empfänger oder die Empfängerin sollte sich durch das Bild selbst attraktiv fühlen. Und etwa gleich viele erhofften sich als Antwort „sexy Bilder“ (51 Prozent), wollten den anderen anturnen (53 Prozent) oder so das eigene sexuelle Interesse signalisieren (49 Prozent).

          Ein Problem sieht Psychotherapeut Jonas Kneer darin, dass sich solches Verhalten wiederholt, je eher keine negativen Konsequenzen folgen. Er arbeitet im Präventionsprojekt „I Can Change“ (Englisch: Ich kann mich ändern) an der Medizinischen Hochschule Hannover mit Menschen, die fürchten, ihre sexuellen Impulse nicht mehr kontrollieren zu können. So sollen Übergriffe im Voraus verhindert werden. Gelinge dies nicht, sei es wichtig, diese strafrechtlich zu verfolgen.

          Hinweise, wie sie digitale Gewalttaten dokumentieren, erhalten Betroffene über die Homepage Dickstinction.com. Dort erfahren sie zum Beispiel, dass sie den Screenshot eines „Dickpics“ möglichst mit Datum und Uhrzeit der Nachricht sowie dem Namen des Absenders versehen sollten. Sie können außerdem Fragen zum Vorfall beantworten und daraus eine Anzeige für die Polizei erstellen.

          Anzeigen sind oft eine zusätzliche Belastung

          Denn das Versenden von „Dickpics“ ist strafbar: „Wer einen pornographischen Inhalt an einen anderen gelangen läßt, ohne von diesem hierzu aufgefordert zu sein, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft“, heißt es im Strafgesetzbuch (Paragraf 184). Erschwert werden Ermittlungen aber etwa, wenn der Betroffene den Absender nicht kennt und auch aus dem Profilnamen nicht hervorgeht, um wen es sich handelt, sagt „Dickstinction“-Mitgründer Stefan Bieliauskas.

          Bei der Entscheidung, ob man Anzeige erstatten möchte, können auch Frauennotrufe und -beratungsstellen helfen. Dort erhalten Betroffen auch Tipps, wie sie das Erlebte sonst verarbeiten können. Kerstin Demuth vom Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe fordert Schulungen für Polizei und Staatsanwaltschaft. „Teilweise fehlt leider das Wissen zu geschlechtsspezifischen Komponenten von Gewalt, Hierarchie und Machtstrukturen und der Digitalisierung. Wenn zum Beispiel nicht verstanden wird, warum es keine Option ist, das Social-Media-Konto zu schließen oder die E-Mail-Adresse zu löschen.“ Für manche Betroffene bildbasierter sexueller Gewalt sei eine Anzeige so eine zusätzliche Belastung.

          Damit sich dauerhaft etwas ändert, müsse in der Gesellschaft mehr über Konsens gesprochen werden, über Gewalt und Geschlechterbilder, findet Psychologin Schwark. Auch Psychotherapeut Jonas Kneer sieht Potenzial durch Lernen: „Viele Menschen haben ein schlechtes Gefühl für eigene sexuelle Bedürfnisse und die anderer – das begünstigt sexuelle Grenzüberschreitungen. Es ist wichtig, zu lernen, die Bedürfnisse anderer zu erfragen und ein Gefühl zu entwickeln, wie man sexuell aktiv sein kann und dabei Grenzen wahrt.“

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