Organisierte Kriminalität : Wie sich die Mafia im Lebensmittelhandel bereichert
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Arbeiter produzieren Büffelmozzarella in einer Molkerei. (Symbolbild) Bild: REUTERS
Von Produktfälschung bis Ausbeutung von Landarbeitern: Eine Konferenz in Berlin beleuchtet, wie sich die organisierte Kriminalität im Lebensmittelhandel bereichert.
Seit Jahren ist Deutschland der größte Importeur von italienischen Lebensmitteln. Im vergangenen Jahr wurden Büffelmozzarella, Tomaten, Orangen und viele andere Produkte im Wert von insgesamt fünf Milliarden Euro eingeführt. Doch dass ein Teil der Gewinne aus Landwirtschaft und Handel in Italien direkt oder indirekt der organisierten Kriminalität zugutekämen, sei bisher wenig bekannt, sagt Helena Raspe vom Verein „Mafia nein danke“, der am Wochenende in Berlin die Konferenz „Die Mafia in meinem Supermarkt? Blutige Tomaten und der Kampf der Landarbeiter in Italien“ veranstaltete. Unter anderen nahmen daran die italienische Investigativjournalistin Sara Manisera von La Repubblica und Arte, der Ethnologe Gilles Reckinger und die Aktivistin Diletta Bellotti, die als Forscherin für die Stiftung Osservatorio Agromafie in Rom arbeitet, teil.
Laut einer Studie des italienischen Landwirtschaftsverbands von 2018 erwirtschaftet die Agromafia mehr als 24,5 Milliarden Euro im Jahr. Die Tendenz sei steigend, sagen Experten wie der Buchautor Oliver Meiler. Allein die Fälschung von Olivenöl bringe der Mafia jährlich einen zweistelligen Millionenbetrag ein.
Von Produktfälschung bis Schutzgelderpressung
Der Verein „Mafia nein danke“ engagiert sich seit mehreren Jahren gegen die Agromafia in Italien. Der Fokus liege dabei auf den Folgen für die deutsche Gesellschaft, wie die Geldwäsche in deutschen Unternehmen, hieß es zur Eröffnung der Konferenz. Mit dem Begriff Agromafia werden alle Aktivitäten der organisierten Kriminalität bezeichnet, die unter der Verwendung von gewerblichen Strukturen in der Landwirtschaft stattfinden und mit denen illegale Profite erzielt werden. Darunter fallen Vergehen wie Subventionsbetrug, Schwarzarbeit, die Ausbeutung von Landarbeitern, Produktfälschungen bis hin zu Schutzgelderpressung.
Die gesamte Wertschöpfungskette sei betroffen, sagt Diletta Bellotti, die in verschiedenen Recherchen der Schwarzarbeit auf italienischen Feldern nachgegangen ist. „In Italien leben mehr als 100.000 Landarbeiter wie Sklaven in Slums oder Zeltlagern und haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, während sie täglich im Durchschnitt elf Stunden arbeiten.“ Es fehle an klaren Begriffsdefinitionen dieser Ausbeutungsmechanismen in der deutschen Sprache, sagt sie. Besonders für das „Caporalato“, also die mafiöse Arbeitsvermittlung und Ausbeutung von Saisonarbeitern auf Tomaten- und anderen Feldern, die oft unter schwierigen Bedingungen lebten und kaum Vergütung für ihre Arbeit bekämen, gebe es keine deutsche Übersetzung. Dabei sei das Phänomen ein massives Problem der europäischen Agrarpolitik, sagt die Investigativjournalistin Sara Manisera.
Büffelmozzarella-Herstellung in Mafiahand
Doch auch weitere Bereiche seien betroffen, wie etwa der Produktionsprozess von landwirtschaftlichen Erzeugnissen, sagt Bellotti. 2017 sorgte die Operation Aristeo für Schlagzeilen, als mehreren Büffelfarmen in Süditalien vorgeworfen wurde, die Kriterien des europäischen DOP-Herkunfts- und Schutzsiegels nicht zu erfüllen. Eine der häufigsten Praktiken dieser Farmen war die Zugabe von Kuhmilch zu Büffelmozzarella, was die Kosten senkt, da Büffelmilch zehnmal teurer ist als Kuhmilch. In der nördlich von Neapel gelegenen Provinz Caserta werden 80 Prozent der italienischen Büffel gehalten. Diese Kernregion der Büffelmozzarella-Herstellung wird seit Jahrzehnten von der Mafia kontrolliert. Dort ist besonders der Clan der Casalesi aktiv, der zur Camorra gehört.
Neben dem Weichkäse standen auch Schinkensorten aus Parma und San Daniele im Zentrum von Skandalen mit gefälschten Siegeln, die 2018 und 2019 in Italien zu Debatten führten. Dabei wurde Prosciutto im Wert von mindestens 80 Millionen Euro konfisziert, der zwar nicht gesundheitsschädigend war, aber nicht die Kriterien des DOP-Siegels erfüllte.
Eine Lösung könnte ein transparentes Lieferkettengesetz sein, das auch Abnehmerunternehmen wie Supermärkte verpflichtet, die Lieferketten zu überprüfen und nachzuverfolgen, sagt die Journalistin Manisera, die solche Fälle mitaufgedeckt hat. Das im vergangenen Jahr beschlossene Lieferkettengesetz, welches die Bundesregierung verabschiedet habe, sei zu lückenhaft und erfasse die Menschenrechtsverletzungen, die unter das „Caporalato“ fallen, nicht.
Derzeit wird auch auf europäischer Ebene über ein solches Gesetz nachgedacht. Der Verein „Mafia nein danke“ fordert zudem, dass den Konsumenten mehr Informationen bereitgestellt werden, damit sie die Lieferkette eines Produkts selbst nachverfolgen können.