
Kriminologe Christian Pfeiffer : „Dominanz der Männer gefährdet das Überleben der Menschheit“
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Gewalt gegen eine Frau (Symbolbild) Bild: dpa
Christian Pfeiffer ist als Kriminologe bekannt – und umstritten. Nun hat er ein Buch über Gewalt gegen Frauen und männliche Dominanz geschrieben. Im Interview erzählt er, dass dominante Männer nicht nur Frauen das Leben schwer machen, sondern die Menschheit gefährden.
Herr Pfeiffer, Sie arbeiten seit Jahrzehnten als Kriminologe. An diesem Montag erscheint Ihr Buch „Gegen die Gewalt“. Darin zeigen Sie auf, dass nur eine von hundert Vergewaltigungen in Deutschland verurteilt wird. Wie kommt es zu dieser Zahl?
Von 100 Vergewaltigungen werden nach der letzten großen Dunkelfeldbefragung nur etwa 15 angezeigt. Von diesen 15 Fällen wiederum enden nur 7,5 Prozent mit der Verurteilung eines Täters, das zeigt die Gegenüberstellung von Daten der polizeilichen Statistik und der Strafverfolgung. Und da gibt es wiederum riesige regionale Unterschieden im Vergleich der 16 Bundesländer. Das Spektrum reicht von drei Prozent in Berlin bis zu 21 Prozent in Sachsen.
Warum erstatten denn so wenige Frauen Anzeige?
Bei einer repräsentativen Opferbefragung im Jahr 2011 wurden 5000 Frauen befragt. Viele vergewaltigte Frauen gaben an, dass sie nicht glaubten, dass eine Anzeige zum Ziel führen würde. Sie waren skeptisch, dass sie mit ihrer Sicht der Dinge durchdringen würden. Andere hatten Angst, durch die Anzeige vom Täter massiv bedroht oder unter Druck gesetzt zu werden. Viele Frauen schämten sich für das Ganze und wollten nicht öffentlich zum Opfer werden. Das ist ein ganz wichtiger Punkt: die Sorge vor einem Stigma.
Wie kann so ein Stigma aussehen?
Ich habe als Hochschullehrer an einem College in den Vereinigten Staaten lehren dürfen. Nach meinem Vortrag über die Opfer von Gewalt kam eine junge Frau auf mich zu, die gerade auf sehr brutale Weise von zwei Mitstudenten vergewaltigt worden war. Sie war völlig verzweifelt. Ich fragte, warum sie nicht zur Polizei gehen würde. Das wollte sie nicht, obwohl sie Beweise hatte, weil sie Angst hatte, als beschmutzt zu gelten – und für Männer somit nicht mehr attraktiv. Sie konnte es aber auch nicht ertragen, mit den beiden Kerlen weiter im selben Studentenheim zu wohnen. Ich hab die Täter zum Gespräch gebeten und ihnen gesagt: ,Die junge Frau, die sie gestern Nacht vergewaltigt haben, hat eine Beweisaufnahme machen lassen, durch eine Ärztin.’ Es war eine klare Geschichte, es gab DNA-Proben. Ich habe den Männern gesagt, sie müssten das College sofort verlassen, wenn sie nicht angezeigt werden wollten. Das taten sie glücklicherweise. Doch die Angst der Studentin zeigt, was ich mit Stigma meine.
Frauen wollen nicht „beschmutzt“ sein?
Das ist leider so. Als ich mit Richtern Interviews über ihre Praxis führte, sagte einer mir, das Schlimmste sei, wie sich viele Partner von vergewaltigten Frauen verhielten. Sie beschuldigten sie: ,Du hättest kämpfen müssen. Du bist selbst schuld. Das darf nicht passieren.‘ Und so weiter. Oder sie waren nicht mehr in der Lage, mit ihrer Partnerin zu schlafen, weil diese ,Beschmutzung‘ die Attraktivität der Frau für sie gemindert hat. Darum haben die Frauen Angst – begründete Angst. Das ist einer der Hauptfaktoren, warum so wenige Frauen Anzeige erstatten. Und geringes Vertrauen in den Erfolg eines Strafverfahrens.
Wenn der eigene Partner schon die Freundin beschuldigt, erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass dies auch Männer tun, die die Frau gar nicht kennen, etwa auf der Polizeistation.
Das war früher oft ein Spießrutenlauf für die Frauen. Inzwischen hat die Polizei im Umgang mit vergewaltigten Frauen aber dazugelernt. Zumindest vermute ich das. Zwei Kolleginnen und ich werden in einem Forschungsprojekt 2500 betroffene Frauen in Niedersachsen dazu noch befragen.
Denken Männer, die eine ,unberührte‘ Frau wollen, sie hätten ein alleiniges Recht auf den Körper ihrer Partnerin?
So ist es. In meinem Buch finden Sie das Zitat eines inzwischen veralteten Bundesgerichtshofurteils. Da haben lauter Männer entschieden, dass es als Ehefrau beim Sex nicht reicht, sich passiv zur Verfügung zur stellen, sondern die Frau sollte auch aktiv mitmachen. Darauf hätte der Mann ein Recht. Diese Dominanz der Männer ist das eigentliche Thema.
Sie schreiben, die Dominanz der Männer gefährde das Überleben der Menschheit.
Ja. Typen wie Trump oder Bolsonaro sind eine Gefahr für die Menschheit geworden. Wir erleben in der Politik den Dominanz-Typus par excellence. Bei Vergewaltigungen geht es um den Dominanzanspruch der Männer, die glauben, Frauen hätten ihnen zur Verfügung zu stehen. Und darüber hinausgehend geht es mir um die Dominanz der Männer, die glauben, alles, selbst die die Natur, müsse sich ihnen unterordnen. Die glauben, sie könnten ihre Ego-Ansprüche überall ausleben. Beides muss miteinander vernetzt werden.