Mordserie im Krankenhaus : Ein besonders sensibler Bereich
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Niels H. soll Patienten ein Medikament gespritzt haben, das schwere Herzrhythmusstörungen auslöst. Wie konnte das passieren? Bild: Picture-Alliance
Der Fall Niels H. erschütterte viele Deutsche. Wie kann ein Krankenpfleger auf der Intensivstation Dutzende von Patienten töten? Eine Fachkrankenschwester für Anästhesie und Intensivmedizin berichtet aus ihrem eigenen Alltag.
Oh Mann, wie schrecklich“, habe ich gedacht, als ich diese Woche davon gelesen habe, wie sehr sich der Fall von diesem Krankenpfleger aus Delmenhorst ausgeweitet hat: Der Mann hat ja im Gefängnis geprahlt, der größte Serienmörder der Nachkriegsgeschichte zu sein. Inzwischen haben sie zig Leichname exhumiert, um sie daraufhin zu untersuchen, ob der Typ ihnen ebenfalls irgendwelche Stoffe verabreicht hat. Ich kriege da Gänsehaut.

Redakteurin im Ressort „Leben“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Einerseits finde ich es gut, dass sie dem Mann auf die Schliche gekommen sind und dass der Fall so ernst genommen wird. Patienten in Deutschland pochen viel zu wenig auf ihr Recht, als mündige Menschen zu gelten. Du kommst ins Krankenhaus und gibst die Hälfte deiner Mündigkeit ab. Immer. Und je länger du in der Klinik bist, desto mehr verschwindest du als Persönlichkeit. Wenn du dann noch auf der Intensivstation liegst ... Deshalb ist es so wichtig, dass dieser Fall richtig geahndet wird. Andererseits: Für den Berufsstand der Krankenpflege ist es schlimm. Der Fall kann ein schlechtes Licht auf uns werfen. Als ob wir schalten und walten könnten, wie wir wollten. Aber das ist nicht so.
Ärzte müssen Medikamente anordnen
Klar, auf einer Intensivstation arbeiten Pflegekräfte sehr selbständig. Aber wir sind weisungsgebunden und den Ärzten unterstellt, Medikamentengaben müssen von den Ärzten angeordnet werden. Wenn allerdings einer meint, er müsse mit Kalium Patienten töten – Kalium ist überall verfügbar, das dosieren wir Pfleger sozusagen nach Wert. Es braucht, vereinfacht gesagt, einen bestimmten Spiegel im Blut, damit das Herz gut funktioniert. Auf Station werden regelmäßig Blutgasanalysen gemacht, und je nach Kaliumwert müssen wir reagieren: Ist eine Infusion nötig? Muss ich höher oder niedriger dosieren? Das machen wir Pfleger autonom. Natürlich wissen wir alle, dass zu viel Kalium im Blut dem Patienten schadet.
Opioide und Schmerzmittel hingegen sind nach dem Betäubungsmittelgesetz weggesperrt. Wenn davon etwas gebraucht wird, muss das feinsäuberlich dokumentiert werden. Einer in der Schicht verwahrt den Giftschlüssel. Und bei jedem Schichtwechsel wird kontrolliert: Wie viele Ampullen sind im Schrank? Wer hat wann was rausgenommen? Zwei Leute gleichen das ab. Wenn etwas fehlt, muss geguckt werden, woran es liegt. Meistens ist es so, dass einer in der Hektik vergessen hat, die Entnahme einzutragen. Es ist also nicht so einfach, an Medikamente heranzukommen, mit denen man Patienten gezielt ins Koma versetzen kann.
Das Herzmedikament allerdings, das dieser Pfleger aus Delmenhorst gespritzt haben soll, steht nicht im Giftschrank. Aber ich selbst habe es in 25 Jahren nie einfach so genommen, sondern nur auf Anordnung der Ärzte verabreicht. Auf meiner Station wird es inzwischen gar nicht mehr verwendet. Aber es war frei zugänglich. Da hat dieser Pfleger sich wirklich was ausgedacht.
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Dieser Mann war blutrünstig und mordlustig
Der Typ ist eine absolute Ausnahme. Er steht nicht für die Berufsgruppe Krankenschwester oder Krankenpfleger. Es gibt ja gelegentlich Fälle von Pflegern, die Patienten töten. Aber sonst haben die andere Gründe. Wenn man der Berichterstattung glauben darf, ist es eher so, dass diese Leute jahrzehntelang am Bett gearbeitet und das Leid der Menschen mitbekommen haben. Sie wollen die Menschen von ihrem Leid erlösen. Das ist auch nicht normal. Aber dieser Mann war blutrünstig und mordlustig. Wir haben diese Woche im Dienst nicht einmal groß über ihn geredet. Unter Abertausenden Pflegekräften, die es in Deutschland gibt, ist dieser Mann beispiellos. Der muss echt eine schwerwiegende Störung haben.