Missbrauchskomplex Münster : Mit kaltem Blick
- -Aktualisiert am
Im Zentrum des Prozesses: Vor Verhandlungsbeginn verbirgt der Hauptangeklagte Adrian V. am Donnerstag sein Gesicht hinter Akten. Bild: AFP
Im Missbrauchskomplex Münster hat der Prozess gegen den mutmaßlichen Haupttäter Adrian V. begonnen. Auch dessen Mutter und drei weitere Angeklagte sitzen auf der Anklagebank.
Kaum haben die Kamerateams und die Fotografen am frühen Donnerstagnachmittag Saal 23 des Landgerichts Münster verlassen, legt Adrian V. den Aktendeckel beiseite, mit dem er sein Gesicht verborgen hatte. Er drückt sein Kreuz durch, stützt sich mit seinen Unterarmen auf den Tisch der Anklagebank und lässt den Vorsitzenden Richter nicht mehr aus dem Blick. Adrian V., ein 27 Jahre alter selbständiger EDV-Unternehmer aus Münster, war nach Einschätzung von Ermittlern der Organisator einer überregional vernetzten Pädokriminellen-Gruppe, die die Möglichkeiten der virtuellen Welt konsequent nutzte, um selbst die fürchterlichsten Phantasien Wirklichkeit werden zu lassen.
Hauptopfer war sein Ziehsohn. Ihn hat V. nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft seit mindestens 2018 bei 26 Gelegenheiten nicht nur selbst schwer sexuell gequält und vergewaltigt. Adrian V. fuhr zudem bis nach Hannover, Brandenburg, Sachsen und Sylt, um den Jungen anderen Päderasten zuzuführen, sich in Ferienwohnungen gemeinsam mit ihnen an dem Kind und weiteren Opfern zu vergehen. Von zahlreichen Taten fertigte V. Fotos und Videomitschnitte an, die er in einschlägigen Foren im Darknet verbreitete. Seit es den Ermittlern im Frühjahr endlich gelang, einen bei V. sichergestellten Laptop zu entschlüsseln, stoßen sie auf immer neue Verdächtige. Allein die Staatsanwaltschaft Münster hat bisher neun mutmaßliche Pädokriminelle angeklagt.
Lebensgefährtin nicht angeklagt
Die am Donnerstag von der Großen Strafkammer eröffnete Hauptverhandlung ist eines der wichtigsten Verfahren in dem noch längst nicht ganz aufgeklärten Missbrauchskomplex. Neben Adrian V., der Schlüsselfigur des Falls, sitzen drei weitere Männer im Alter von 30, 35 und 42 Jahren auf der Anklagebank. Auch Tobias S., Marco Sch. und Enrico L. aus Staufenberg in Hessen, Hannover und Schorfheide in Brandenburg wird schwerer sexueller Missbrauch von Kindern, Vergewaltigung sowie gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Bisher nicht angeklagt ist die Lebensgefährtin von Adrian V., also die Mutter des mittlerweile elf Jahre alten Hauptopfers. Die Staatsanwaltschaft sieht bisher keine gesicherten Beweise dafür, dass die Frau wusste, was ihr Partner dem Kind antat.
Dabei machte V. aus seiner pädophilen Neigung nie ein Hehl, war schon zwei Mal wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften zu jeweils zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden und ging immer skrupelloser vor. Warum nahm die Kindesmutter es hin, dass Adrian V. mit ihrem Sohn kreuz und quer durch Deutschland fuhr? Sollte sie wirklich nichts mitbekommen haben? Auch der Staatsanwaltschaft scheint das kaum glaubhaft; die Ermittlungen gegen die Frau sind noch nicht abgeschlossen.