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Aus der Zelle heraus : Häftlinge betreiben kinderpornografische Darknet-Plattform

Eine österreichische Nummer hatte zu den Häftlingen in einer Wiener Anstalt geführt, die die Plattform im Darknet betrieben. Bild: dpa

Die Kriminellen nutzten einen Laptop und USB-Sticks: Als Folge des Würzburger Missbrauchsfalls stoßen Ermittler auf Betreiber eines kinderpornografischen Internetforums in einer Haftanstalt – und retten einen Jungen.

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          Mit relativ einfachen Mitteln – einem versteckten Laptop sowie eingeschmuggelten USB-Sticks – ist es einschlägig verurteilten Pädokriminellen in einem Gefängnis in Wien gelungen, aus der Haftanstalt heraus im Darknet ein Forum mit rund 1000 registrierten Nutzern zu betreiben, die dort Kinderpornographie getauscht und verbreitet haben. Zu den Tätern führte ein Hinweis von Ermittlern der Zentralstelle Cybercrime Bayern (ZCB) und des bayerischen Landeskriminalamtes. Sie waren bei Ermittlungen auf eine österreichische Handynummer gestoßen. Die österreichischen Sicherheitsbehörden konnten dann als Standort des Handys die Haftanstalt ausmachen: Aus einer Zelle heraus konnte die Darknet-Plattform nach Angaben der bayerischen Ermittler „äußerst konspirativ“ betrieben werden -  mehrere Häftlinge waren daran beteiligt.

          Karin Truscheit
          Redakteurin im Ressort „Deutschland und die Welt“.

          Die österreichische Handynummer ist eine von vielen Spuren, die sich aus den Folgeermittlungen zu dem Fall eines Würzburger Pädokriminellen ergeben haben. Der Mann, ein Logopäde, der Kinder während seiner Therapiestunden vergewaltigte, war im Mai 2020 wegen schweren sexuellen Missbrauchs von sieben Jungen im Kindergartenalter zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren und vier Monaten verurteilt worden. Mit dem Urteil, das inzwischen rechtskräftig ist, endet jedoch die Arbeit der Strafverfolger nicht. Seit rund anderthalb Jahren, seit der Festnahme des Mannes im März 2019, werten die Ermittler akribisch die zahlreichen bei ihm sichergestellten Datenträger aus und gehen Kontakten des Mannes in die auf der ganzen Welt vernetzte Pädophilenszene nach.

          Am Mittwoch haben der Leiter des Dezernats Cybercrime beim LKA, Mario Huber, und der Bamberger Generalstaatsanwalt Thomas Janvosky eine erste Bilanz der Folgeermittlungen gezogen: Bislang konnten sie 44 männliche Tatverdächtige „aus der vermeintlichen Anonymität des Darknet“ holen. 27 der Tatverdächtigen wohnen in Deutschland, siebzehn in Belgien, Frankreich, Italien, Österreich und der Schweiz. Wie weit die Kreise nach der Festnahme des Würzburger Logopäden gezogen werden, zeigt allein die Vielzahl der Länder, deren Strafverfolgungsorgane die bayerischen Ermittler ebenfalls über Hinweise auf noch unbekannte mutmaßliche Pädokriminelle informierten: Albanien, Ecuador, Großbritannien, Mexiko, Polen, Russland, Tschechische Republik sowie die Vereinigten Staaten.

          Vor dem abermaligen Missbrauch gerettet

          Um die Verbreitung von Kinderpornographie noch besser bekämpfen zu können, hat der bayerische Justizminister Georg Eisenreich (CSU) am Mittwoch in Bamberg zudem eine neue Ermittlungseinheit vorgestellt: Acht auf Cybercrime spezialisierte Staatsanwälte sowie forensische IT-Fachkräfte werden künftig unter dem Dach der ZCB ausschließlich Pädokriminelle im Netz aufspüren. Der Fokus richtet sich demnach auf Betreiber und Nutzer von Darknet-Foren, die kinderpornographisches Material herstellen, posten oder damit handeln. Das neu gegründete „Zentrum zur Bekämpfung von Kinderpornografie und sexuellem Missbrauch von Kindern im Internet“ (ZKI)  soll nach Eisenreichs Worten den „Verfolgungsdruck auf die Täter“ weiter erhöhen. Denn der Handlungsbedarf sei groß – nicht zuletzt aufgrund der erschütternden Fälle, wie sie jüngst in Lügde, Bergisch-Gladbach oder in Staufen bekannt geworden seien.

          Der bayerische Justizminister forderte auch, die bis auf weiteres ausgesetzte Speicherung der Verkehrsdaten – insbesondere der IP-Adressen – wieder einzuführen. In tausenden Fällen können nach seinen Angaben die Ermittler Hinweisen nicht nachgehen, weil die Daten, die auf die jeweiligen Nutzer verweisen, nicht mehr bei den Providern gespeichert werden. So solle die Bundesjustizministerin  die deutsche Ratspräsidentschaft dazu nutzen, die Verkehrsdatenspeicherung auf europäischer Ebene auf die Tagesordnung zu bringen.

          Geleitet wird die neue bayerische Spezialeinheit  von Oberstaatsanwalt Thomas Goger, dem bisherigen stellvertretenden Leiter des  ZCB. Goger hob am Mittwoch hervor, dass auch im Würzburger Fall die Folgeermittlungen nicht nur zu neuen Tatverdächtigen, sondern auch zu gequälten Kindern führten. So konnte in der Schweiz ein fünf Jahre alter Junge aus unmittelbarer Gefahr gerettet werden: Die bayerischen Ermittler hatten zuvor einen Schweizer als Tatverdächtigen identifiziert. Die Schweizer Polizei stieß aufgrund der Erkenntnisse auf die alleinstehende Mutter eines kleinen Jungen, mit der der Mann in Kontakt stand. Er hatte den Jungen schon einmal missbraucht. Unmittelbar, bevor der Mann den Jungen bei einem weiteren Treffen wieder quälen konnte, gelang der Zugriff durch die Schweizer Polizei. „Wenn sie nur eine Minute später gekommen wären, wäre der Junge abermals missbraucht worden.“

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