Steht im Koalitionsvertrag : Was ist denn jetzt mit der erweiterten DNA-Analyse?
- -Aktualisiert am
Die Forensik könnte es weiter bringen
Ein „Diskriminierungsrisiko“ sieht auch Carsten Momsen, der an der Freien Universität Berlin Strafrecht lehrt. Dem „Focus“ sagte er, die Befürworter gingen bei der biogeographischen Herkunft von „Ethnizität“ aus, die äußerlich sichtbar sei, knüpften an „dunkle Zeiten“ an und bedienten „vorurteilsbelastete Wählerschichten“. Doch die Spurenkommission, der Zusammenschluss der rechtsmedizinischen und kriminaltechnischen Institute in Deutschland, hatte schon im Dezember 2016 erklärt, die biogeographische Herkunft einer Person beruhe „ausschließlich auf den genetischen Wurzeln seiner Vorfahren“. Soziale, kulturelle und religiöse Kriterien spielten dabei keine Rolle, Begriffe wie „Ethnizität“ oder „Ethnie“ sollten also nicht verwendet werden. Gemeint sind somit die Unterscheidungen nach Kontinentalregionen, nicht nach politisch definierten Ländern. Die Vorhersage der biogeographischen Herkunft, die sehr genau bestimmt werden kann, ist jedoch im Koalitionsvertrag nicht vorgesehen. Vermutlich aus Angst vor einer Diskriminierungsdiskussion wird auf ein Instrument verzichtet, das Peter Schneider, Leiter der Spurenkommission und Professor für Forensische Molekulargenetik am Universitätsklinikum Köln, als „sehr zuverlässiges und daher bestes Werkzeug der forensischen Genetik“ bezeichnet.
Wie zuverlässig die Methode eingesetzt werden kann, zeigt ein weiterer Fall aus den Niederlanden: Im Dezember 2017 wurde nach einer DNA-Reihenuntersuchung der mutmaßliche Mörder der 19 Jahre alten Milica v. D. gefasst, die 1992 in Zaandam vergewaltigt und getötet worden war. Die freiwillige Untersuchung, zu der fast alle angeschriebenen Männer erschienen, begrenzte die Polizei von vornherein auf türkischstämmige Männer – die DNA-Spur vom Tatort war auf die biogeographische Herkunft des Spurenlegers hin analysiert worden. Auch ein Zeugenhinweis hatte zuvor in diese Richtung gewiesen. Gefunden wurde der Tatverdächtige, der selbst nicht erschien, über einen Verwandten, der eine Speichelprobe abgegeben hatte. Dass auch Verwandte in den Fokus rücken könnten, wussten die Teilnehmer. Doch die Hilfsbereitschaft der Minderheit war groß, niemand lief Sturm gegen eine Stigmatisierung. Die Eltern des ermordeten Mädchens bedankten sich danach für die Mithilfe der türkischen Gemeinschaft.
Kritisiert wird in Deutschland auch die Aussagekraft der Analysen. Politiker warben mit „Maximalwerten“, obwohl diese Werte einer „kritischen Prüfung“ oft nicht standhielten, meint Lipphardt. Das wiederum weist Manfred Kayser, Professor für Molekularbiologie an der Erasmus-Universität in Rotterdam und Leiter der Abteilung für Genetische Identifizierung, zurück. Die Werte seien wissenschaftlich validiert, sagt Kayser, der die DNA-Phänotypisierung mit seinem Team maßgeblich entwickelt hat. Allerdings würden in der öffentlichen Diskussion „Testgenauigkeit“ und „Testergebnis“ oft miteinander vermengt. Laut Kayser wird die Testgenauigkeit (der AUC-Wert) über viele Probanden erhoben. AUC-Werte bewegen sich auf einer Skala zwischen 0,5 (zufällige Vorhersage) und 1,0 (absolut richtige Vorhersage) und können deshalb nicht in Prozent ausgedrückt werden. Das Testergebnis nach der Anwendung des Tests an einer einzelnen Person ist ein individueller Wahrscheinlichkeitswert in Prozent. Laut Kayser belaufen sich die AUC-Werte zum Beispiel für die Genauigkeit der Tests für die Augenfarbe Braun auf 0,95, für Blau auf 0,94. Für intermediär, also Grün oder Grau, beträgt der Wert 0,74. Für die Haarfarbe liegen die AUC-Werte für Rot bei 0,92, für Schwarz bei 0,85. Für blonde Haare wird eine Testgenauigkeit von 0,81, für braune Haare von 0,75 erzielt. Die Testgenauigkeit für die Hautfarbe ergibt einen Wert von 0,98 für eine „dunkel-schwarze“, 0,84 für eine „dunkle“, 0,75 für eine „intermediäre“, 0,73 für eine „helle“, 0,75 für eine „sehr helle“ Hautfarbe.