F.A.Z. Woche : 100 Euro fürs gute Gewissen
- -Aktualisiert am
Der Betrüger winkt freundlich zum Abschied. Oder zeigt sich hier schon der Spott über den Betrogenen? Bild: Sven Astheimer
Kreditkarte kaputt, Tank leer, man brauche dringend Geld für die Heimreise: Die Betrugsmasche mit dem „Autobahngold“ wird zum Exportschlager. Trotzdem gibt es kaum Klagen. Warum nur?
Die Überraschung kann ein mächtiger Verbündeter sein. Eben noch war die Lage völlig entspannt. Die Autobahn E40 zwischen dem tschechischen Pilsen und der bayerischen Grenze mutete um die Mittagszeit wie eine spärlich befahrene Landstraße an, der Verkehr tröpfelt vor sich hin. Von den kilometerlangen Staus, die auf deutschem Boden warten, ist noch nichts zu spüren.
In diese Stimmung prescht eine dunkle Limousine mit Berliner Kennzeichen. Blinker rechts, auf der Rückbank winken Personen aufgeregt und fordern zum Halt auf dem Seitenstreifen auf. In den nächsten Sekunden laufen im Gehirn des Fahrers viele Prozesse parallel ab. Einerseits gehen die Alarmlampen an: Was wollen die Fremden? Wie viele Personen sitzen in dem Wagen, dessen Heckscheiben nur schwer zu durchblicken sind? Kann die Lage bedrohlich werden, und sollte man besser einfach weiterfahren?
Dieser Artikel stammt aus der Frankfurter Allgemeine Woche.
Auf der anderen Seite findet eine unbewusste Solidarisierung statt: Handelt es sich um Menschen in Not, zudem Landsleute? War man nicht selbst schon im Ausland dankbar für Hilfe in der einen oder anderen kniffligen Situation? Die Argumente müssen gegeneinander abgewogen werden - bei 120 Stundenkilometern. Schließlich siegt die Hilfsbereitschaft. 1:0 für die schwarze Limousine.
Immerhin versagen die Selbstschutzinstinkte nicht komplett. Zentralverriegelung gedrückt, Beifahrerfenster nur so weit runter, dass niemand durchgreifen kann. Davor taucht nun der Fahrer des Wagens auf, welcher etwa 20 Meter weiter hinten auf dem Standstreifen parkt. Dunkle Haare, gestutzter Vollbart, leicht korpulent, arabischer oder türkischer Akzent. In hohem Tempo und mit zerknirschter Mine erzählt er seine Geschichte: Heimweg nach Berlin, alte Eltern im Auto, Kreditkarte kaputt, muss tanken, brauche 150 Euro, morgen sofort zurück, schwöre! Gestik und Mimik untermauern das Gesagte eindrucksvoll.
Hilfsbereitschaft besiegt Misstrauen
Um die Ernsthaftigkeit seiner Absichten zu unterstreichen, zieht er sich den goldenen Siegelring vom Finger und reicht ihn als Pfand herein. Auch das Armband will er opfern. Die Polizei nennt solchen Schmuck „Autobahngold“. Wertloser Plunder, zumeist aus Blei, was Gläubiger rasch merken, sobald sie ihr Pfand versilbern wollen. Unattraktiv ist der Schmuck obendrein und gesellschaftlich kaum vorzeigbar. Kein Interesse.
Die Situation gerät ins Stocken. Weil das Überraschungsmoment mit jeder weiteren Verzögerung schwindet, bedeutet Zeit für die Besatzung der Limousine buchstäblich Geld. Der Druck wird erhöht. Eine alte Frau mit Kopftuch erscheint im Blickfeld und stimmt ihr Klagelied an. Zur Bekräftigung hält sie die vermeintlich defekte Kreditkarte hoch.
Erste Zweifel kommen
Eine Entscheidung muss her: Einerseits nähren Umstände und Theatralik der Aktion das Misstrauen, andererseits nagt das Gewissen: Stecken hier nicht doch Menschen in der Klemme? Die Entscheidung fällt: 100 Euro reichen für eine Tankfüllung bis nach Hause. Kontaktdaten werden ausgetauscht. Es sind 100 Euro für ein gutes Gewissen.
Dann hat der Spuk ein jähes Ende. Das Duo – Mutter und Sohn? – macht sich auf den Weg zurück zum Wagen. Der Abgang wirkt einen Tick zu koordiniert, was neue Zweifel nährt. Beim langsamen Anfahren bleibt der schwarze Wagen noch zurück. Dank der leeren Autobahn lässt sich beobachten, wie das Auto auch die nächsten Meter auf Distanz bleibt. Irgendwann setzt der Fahrer aber doch zum Überholmanöver an. Auf den Fotos ist später alles gut erkennbar: das Kennzeichen, der Wagentyp (Audi A6, nicht das neueste Modell) sowie die zum Gruß aus dem Beifahrerfenster gestreckte Hand - Geste der Dankbarkeit oder des Spottes?
Viele Geprellte klagen nicht
Die Antwort lässt nach der Rückkehr nicht lange auf sich warten. Die Mobilnummer führt ins Leere, auch die E-Mails bleiben unbeantwortet. Mit ungetrübtem Blick stellt sich die Situation nun ziemlich deutlich als Gaunerstück heraus. Die Polizei kennt die Masche mit dem Autobahngold nur zu gut. Relativ neu ist, dass die Betrüger verstärkt im grenznahen Ausland aktiv sind. Dahinter dürfte die Hoffnung stehen, dass sich die Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden noch schwieriger gestalten. Allerdings machen Kooperationen der deutschen Polizei mit polnischen und tschechischen Kollegen solche Rechnungen zunehmend zunichte.
Der Polizist freut sich über die Fotos, das erleichtert die Bearbeitung der Strafanzeige ungemein. Die Computerabfrage gibt als Halter des Wagens einen wohnsitzlosen Rumänen an, gegen den wegen eines Betrugsverfahrens schon eine Aufenthaltsermittlung läuft. Ob der Halter auch der Fahrer war, steht damit noch nicht fest. Oft seien die bei den Taten benutzten Wagen zuvor mehrmals innerhalb kurzer Zeit verkauft worden, berichtet der Polizist. Das soll die Rückverfolgung erschweren. Sobald Fotos zur Identifizierung der Beteiligten vorliegen, wird sich die Polizei melden. Bis dahin heißt es abwarten.
Der Aufwand ist es den meisten nicht wert
Das Internet ist voll ähnlicher Geschichten, in denen Betroffene teils erstaunlich selbstironisch berichten, wie Betrüger ihre Gutgläubigkeit und Hilfsbereitschaft ausgenutzt haben. Die Autobahngold-Masche sei in der Regel nur eine von mehreren, die diese Profis einstudiert hätten, heißt es von der Polizei. Es gehe fast immer um Beträge in einer Höhe, die der Geschädigte in Abwägung des Aufwands einer Anzeige mit hoher Wahrscheinlichkeit noch als Lernerfahrung abhaken werde.
Peinlich sei den Abgezockten die Sache obendrein. Und selbst wenn der Täter strafrechtlich verurteilt wird, gibt es noch kein Geld zurück. Das muss zivilrechtlich erstritten werden. Ist das den Aufwand wert? Auf jeden Fall, und wenn dadurch auch nur ein weiteres potentielles Opfer von den Machenschaften dieser Betrüger verschont bleibt.